Ein Gespräch mit dem Motivationspsychologen Jörg Zeyringer über Selbstdisziplin, die negative Kraft von Langeweile und warum Angst wichtig ist.
Herr Zeyringer, wie ticken wir Menschen? Was motiviert uns?
Zeyringer: Die Evolution hat uns mit einem „Betriebssystem“ ausgestattet, das aus drei Ebenen besteht: Das Antriebssystem ist dafür verantwortlich, dass wir uns dahin entwickelt haben, wo wir sind, dass wir Ressourcen aufspüren können, Dinge erfinden und den Weltraum erobern. Das Beruhigungs- und Versöhnungssystem reguliert unsere soziale Ebene und wird angetrieben vom Wunsch, positive Beziehungen zu anderen Menschen zu gestalten und wird begleitet von der Angst vor Einsamkeit. Das dritte System, das Bedrohungssystem, zielt auf das Überleben ab und schaltet sich ein, wenn Gefahr droht. Es ermöglicht uns, stark zu sein, um in einer Krisensituation überleben zu können. Aus diesen drei Systemen, Leistung, Bindung und Macht schöpfen wir unsere Motivation und die Gründe für unser Handeln.
Wie lässt sich da das Horten von Klopapier in einer unsicheren Zeit einordnen?
Das ist zunächst irrational, zeigt aber die Unsicherheit und die Angst, die dahinter-steckt. Die Leute machen sich quasi in die Hose. Und hier kommt das Bedrohungssystem ins Spiel, wir wollen stärker als die Situation sein. Über die vielen Packungen Klopapier, die wir hamstern, erhalten wir das Gefühl, zumindest etwas im Griff zu haben. Bei Nationen, die sich mit Waffen versorgen, ist das ja ähnlich. Die kognitive Ebene wird dabei von der emotionalen Ebene überlagert, dazu ein Beispiel: Kognitiv gesehen wissen wir, dass Lottospielen keinen Sinn macht. Wir tun es aber trotzdem.
Warum tun wir das?
Emotionen sind stärker als der Verstand und bestimmen weitgehend unser Verhalten. Im Zusammenhang mit Motivation gilt: positive Emotionen führen zu positiven, konstruktiven Verhaltensweisen. Wenn es uns gut geht, dann bringen wir mehr zusammen und wachsen. Wenn wir uns fürchten, hemmt uns das und wir werden unsicher, weil wir nicht wissen, ob wir die Situation bestehen. Außerdem gilt: zu starke Erregung – und das gilt sowohl für positive als auch für negative Emotionen – wirkt sich ungünstig auf die Effektivität unserer Handlungen aus: Die Forschung zeigt, dass zu hohe Erregung zu einspurigem Denken und zu Problemen bei der Erfassung von sogenannten Kontextinformationen führt, unsere Wahrnehmung und darauf basierende Informationsverarbeitung sind eingeschränkt.
Wie viel Informationen kann unser Gehirn verarbeiten? Aktuell werden wir ja täglich überschüttet von neuen Meldungen.
Es gibt die so genannte Miller’sche Zahl, die von fünf Bewusstseinsinhalten spricht, die unser Gehirn gleichzeitig verarbeiten kann. Neue Erkenntnisse zeigen, dass Miller ein ziemlicher Optimist war. Wir wissen, dass unser Gehirn nicht Multitaskingfähig ist. Wir können zwar einfache Tätigkeit nebeneinander durchführen, sehen aber beispielsweise, dass uns Telefonieren während des Autofahrens selbst via Freisprechanlage ablenkt.
Wie merken wir, dass in Anbetracht der unzähligen Informationen unser Gehirn überfordert ist?
Erschöpfung, Burnout, depressive Phasen sind Reaktionen, wenn es zu viel wird. Es kann aber auch in die andere Richtung gehen. Auch Unterforderung stellt eine Bedrohung dar. Ist es über einen längeren Zeitraum öde und langweilig, weiß ich nicht, wie ich diese Situation bestehen soll und es kommt zu Stresssymptomen. Das muss gar nicht real sein. Schon allein die Ankündigung, dass eine Situation stressig werden würde, zeigt Auswirkungen, wie eine Studie ergeben hat. Die Probanden hatten bei der reinen Ankündigung mehr Stress und weniger Zugriff auf ihre Emotionen. In dieser Situation gibt es nur eines: versuchen, die Situation über Selbstregulation in Griff zu bekommen und beispielsweise an neue Ziele zu denken. Es hat sich bei der Geiselnahme in der Botschaft von Teheran im Jahr 1979 gezeigt, dass jene Geiseln die Situation gut überstanden haben, die sich in der Geiselhaft konkrete Ziele für danach steckten. Diese Gedanken haben den Betroffenen ein neues Warum gegeben.
Wie hat sich die Angst evolutionär verändert?
Im Mittelalter beispielsweise, als die Franzosen nach England unterwegs waren, um das Land zu erobern, wusste man lang nichts von der anrückenden Gefahr, es gab darüber keine bzw. wenig Information. Heute wissen wir so gut wie alles, es gibt also wesentlich mehr Quellen der Gefährdung. Angst ist aber eine wichtige Emotion, weil sie uns auf Bedrohungen aufmerksam macht. Die Frage ist nur: wie lange dauert sie an, was ist die Ursache, fühle ich mich der Bedrohung gegenüber gewappnet? Das ist aktuell nicht wirklich der Fall: Wir haben kein Medikament, keine Impfung, keine Erfahrung.
Was bedeutet die Angst für die Gesellschaft? Wie zeigt sich hier die soziale Kompetenz, von der aktuell immer wieder die Rede ist?
Im Moment zeigt sich, dass sich die Menschen weitgehend an die Anweisungen halten. Beachten immer mehr die Maßnahmen nicht, hat unser Gehirn mit einem Dilemma zu kämpfen: Warum muss ich das befolgen, wenn der Nachbar es nicht tut? Was die Bevölkerung gerade macht, ist jedenfalls ein Riesenkraftakt. Zu 80 Prozent tun wir Menschen nämlich das, was wir gewohnt sind. Alles, was neu ist, ist schwierig zu meistern, wir vermeiden es, Verluste zu provozieren. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat erkannt, dass eine Verlustsituation in der Regel mehr schmerzt als eine vergleichbare Gewinnsituation zu Freude führt. Oder wie der deutsche Psychologe Jens Corssen sagt: Das Gehirn bevorzugt bekanntes Leid, bevor es sich auf die Suche nach unbekanntem Glück macht. Dass die Menschen durch Covid19 klüger werden, sehe ich jedenfalls eher pessimistisch. Ich halte mich da an Ingeborg Bachmann, die meinte, die Geschichte lehre uns permanent, finde aber keine Schüler.
Jörg Zeyringer, Motivationspsychologe, Autor, Coach und Trainer. Im Herbst 2019 erschien: Jörg Zeyringer/Adi Hütter: Teamgeist – wie man ein Meisterteam entwickelt. Springer Verlag.