Die Steiermark ist Referenzregion für aktives und gesundes Leben im Alter. Altwerden in der Steiermark heißt künftig, dass es einen stärkeren Schulterschluss geben wird mit allen, die damit zu tun haben. Ein Gespräch mit Dr. Johann Harer, Geschäftsführer des Humantechnologie-Clusters.
Herr Dr. Harer, was bedeutet das, was bringt diese Referenzregion der Steiermark?
Wir haben uns vor drei Jahren für dieses EU-Projekt beworben. Weil wir ein Konzept hatten und gute Initiativen sowie rege Tätigkeiten in den Bereichen Forschung, Ausbildung und Wirtschaft vorweisen können, sind wir gleich mit zwei Sternen eingestiegen und wir haben das Potenzial, bei der nächsten Bewerbung die Höchstbewertung von vier Sternen zu erreichen.
Was wird damit gemessen?
Vier Sterne bekommen Regionen, wenn die Zusammenarbeit aller Entscheidungsträger bestmöglich funktioniert. Wenn also die politische Agenda auch mit den Angeboten übereinstimmt und umgesetzt wird. Alle müssen hier an einem Strang ziehen. Das sind Bereiche wie active und assisted living (AAL), wo man daran arbeitet, dass ältere Menschen so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. Auch im Bereich Telemedizin gibt es noch viele Möglichkeiten: Ein chronisch kranker Mensch muss nicht unbedingt persönlich zum Arzt gehen, wenn über Online-Tools eine E-Medikation möglich wäre. Und es ist ganz wichtig, das so zu erklären, dass die Nutzer das auch verstehen und akzeptieren.
Mit welchen Themen unterstützt der Human-technologie-Cluster das Thema Älterwerden?
Mit dem vorhin schon erwähnten active und assisted living in vielen verschiedenen Ausprägungen oder bei Nahrung und Nahrungsergänzung: Hier sind wir in der glücklichen Lage, mit dem Institut AllergoSan oder Apomedica über Firmen zu verfügen, die großes Know-how haben. Es ist aber auch denkbar, dass ein Apfelbauer, der ohnehin nicht allzu viel für seine Ware bekommt, ergänzend Produkte anbaut, die in diese Wertschöpfungskette einfließen. Im Bereich Medizin und Gesundheitstourismus sind wir dabei, in der Modellregion Südoststeiermark (z.B. Bad Radkersburg) vorhandene medizinische Infrastruktur, Kur- und Rehaeinrichtungen und Tourismusangebote zusammenzuführen. Das soll dann auch für Personen attraktiv werden, die in ihre Gesundheitsvorsorge investieren wollen und außerdem soll das neue Gäste in die Region bringen. Beim Thema Pflege stellt sich die Frage: Wie schaffen wir es, den künftigen Bedarf an Pflegekräften abzudecken?
Gibt es dazu Zahlen, wie viel Pflegepersonal fehlen wird?
Das Angebot und der Bedarf an Pflege- und Therapiepersonal ist nur partiell erfasst, sodass eine Vorhersage nur schwer möglich ist. Dieses Problem ist noch ungelöst. Auch gibt es große regionale Unterschiede, insbesondere die Abwanderung junger Menschen in die Städte. Wir müssen daher versuchen, junge Leute in den Regionen zu halten. Wer vom Umland nach Graz kommt, um dort die Ausbildung im Pflegebereich zu absolvieren, wird hier bleiben. Wir müssen versuchen, dass Menschen in ländlichen Regionen eine geeignete Ausbildungsmöglichkeit haben, dort, wo sie wohnen und wo auch Bedarf besteht. Und wir müssen Schüler und Praktikumsplätze zusammenführen, auch grenzübergreifend bis Slowenien.
Wie sieht es mit neuen Technologien aus?
Hier gibt es viele tolle neue Produkte, doch es scheitert oft an der öffentlichen Finanzierung. Während private z.B. Reha-Kliniken den Nutzen der neuen Technologien verstanden haben, tun sich die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen oft schwer. Telemedizin zum Beispiel: Hier kommen meist Argumente, warum es nicht geht (nicht erlaubt, Datenschutz uvm.). Nehmen wir unser ELGA-System: Darum haben uns alle Länder immer beneidet, aber jetzt überholen uns die anderen, weil wir mit unseren Daten nichts weiter machen und das ist schade. Da spüren wir schon noch große Widerstände im System.
Wie könnte Seniorenwohnen in Zukunft aussehen?
Es gibt international viele tolle Vorzeigeprojekte. Wir wollten den Bau von Wohnungen unterstützen, jeweils mit abgetrennten kleinen Einheiten, gemeinsamem Sozialbereich mit entsprechenden Dienstleistungen. Es fand sich aber kein Bauträger, weil mit diesen Wohnungen nichts zu verdienen ist. Die Öffentliche Hand ist da auch sehr passiv.
Was wäre für die ältere Generation Ihrer Meinung nach wichtig?
Rechtzeitig auf die eigene Gesundheit zu achten, ausgewogen zu leben, gesund zu essen, regelmäßige Bewegung. Man sollte auch mit der Arbeit nicht auf Kriegsfuß stehen – der Drang, so schnell wie möglich in die Pensionierung zu wollen, ist der falsche Ansatz, aber leider in Österreich sehr weit verbreitet. Statt über Fachkräftemangel zu reden, sollten wir versuchen, ältere Personen länger im Arbeitsprozess zu behalten, wenn auch nur für ein paar Stunden pro Woche. Ältere Menschen sollten sich ihr soziales Umfeld erhalten bzw. eines schaffen. Wer das Gefühl hat, gebraucht zu werden, ist fitter. Und es wäre wichtig, rechtzeitig zu erkennen, wenn man nicht mehr alleine im entlegenen Haus oder Hof wohnen kann und die Wohnsituation überdenken.
