Kein Auskommen mit dem Einkommen

1,5 Millionen Menschen in Österreich sind von Armut betroffen bzw. gefährdet. Ein Gespräch mit Hanna Lichtenberger von der Volkshilfe über ein Thema, das viele Pensionistinnen betrifft.

Worüber reden wir, wenn wir über Altersarmut reden?

Hanna Lichtenberger: Erst müssen wir uns das gesamte Thema Armut anschauen, um etwas über Altersarmut sagen zu können. Davon sind in hohem Maße Alleinerzieherinnen, Mehrkindfamilien, Menschen ohne österreichischen Pass, Menschen mit Behinderungen, Kinder – in hohem Maß! – und Pensionistinnen betroffen. Wir wissen mittlerweile, dass die Grundpfeiler für Armut schon in der Kindheit gelegt werden. Und das in einem der reichsten Länder der Welt!

Klärt die Politik zu wenig auf? Eine 35-jährige Frau, die zur Kinderbetreuung zuhause war, hätte theoretisch noch ein paar Jahre, um Pensionsbeiträge anzusammeln. Aber irgendwie ist das kaum Thema …

Es gibt immer wieder Infokampagnen zu diesem Thema, beispielsweise indem auf  die Folgen von Teilzeitarbeit aufmerksam gemacht wird, die vielfach Grund für Altersarmut ist. Doch was tut eine Frau in einer Gemeinde am Land, deren Kinderbetreuungseinrichtung um 14 Uhr schließt? Oder bei jenen Familien, in denen die Frauen die Kinderbetreuung übernehmen, weil der Mann einfach mehr verdient? Altersarmut beginnt so gesehen für viele Frauen schon mit 30.

Was macht die Pensionistin, die mit 60 vor dem Problem steht, dass im Ruhestand das Geld zum Leben nicht reichen wird?

Es gibt Unterstützungsmöglichkeiten, doch viele Frauen schämen sich, Hilfe zu holen, vor allem auf dem Land. Hilfe und Beratungen gäbe es in jeder Gemeinde, Stadt, bei der Volkshilfe oder Caritas. Es besteht die Möglichkeit, die Pension auf die Mindestsicherung aufzustocken, darüber hinaus gibt es Zuschüsse für Miete oder Heizkosten, es gibt die Möglichkeit, sich von ORF- oder Rezeptgebühren befreien zu lassen. Es ist ein sehr komplexes System, wir empfehlen hier, Beratung in Anspruch zu nehmen. Was wir immer wieder erleben: Dass Menschen mit Schulden ihre Post nicht mehr öffnen, weil sie keinen Ausweg sehen. Schlimm sind auch die Zuschreibungen an Leute, die armutsbetroffen sind, quasi: die sind selbst Schuld. Das stimmt aber nicht.

Zynisch formuliert war es bisher ja bequem: Frauen leisten die Kinderarbeit und die Pflege von Angehörigen, oder man holt sich ausländische Pflegekräfte. Der Staat schaut weg und spart viel Geld.

Im aktuellen Regierungsprogramm ist festgehalten, die Armut halbieren zu wollen. Es braucht aber mehr als nur Ankündigungen. Zudem steht im Regierungsprogramm wenig Konkretes zu  relativer Armut. Maßnahmen wie das Kältetelefon nehmen vor allem  extreme Armut und Obdachlosigkeit in den Blick. Das ist eine Maßnahme, die nicht jene unterstützt, die die Heizung nicht aufdrehen, weil sie sparen müssen, die sich den Skikurs der Kinder nicht leisten können und nicht jene, für die eine kaputte Waschmaschine eine Katastrophe ist.

Ab wann ist man arm?

Wenn wir uns relative Armut anschauen, dann geht es darum, wie Menschen am Lebensstandard eines Landes teilhaben können. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei 1.259 Euro brutto (einer Person), 1.636 Euro bei einem Erwachsenen und einem Kind, bei zwei Erwachsenen bei 1.888 Euro.

Was wäre eine Lösung zur Vermeidung von Altersarmut?

Wir haben ein konservatives Wohlfahrtsmodell, das darauf beruht, dass man erwerbstätig war und auch Beiträge gezahlt hat. Daraus errechnet sich die Pension. In Dänemark zum Beispiel gibt es eine Grundpension, die jeder bekommt, der Generaldirektor erhält theoretisch gleich viel wie die Verkäuferin. Was uns fehlt, ist die Anerkennung, wenn sich etwa Frauen um ihre Kinder kümmern und daher weniger Einkommen aus Erwerbsarbeit haben. Und eines muss uns auch klar sein: Armut hat auch immer mit Gesundheit zu tun. Arme Menschen können weniger in Prävention, Maßnahmen, Physiotherapie investieren, sie machen meist weniger Bewegung und viele leben in Wohnungen mit Schimmelbefall.

Ohne Sozialleistungen läge die Armutsgefährdungsquote in Österreich bei 25 Prozent, so liegt sie bei 14 Prozent. Wer mit der Pension nicht auskommt, sollte keine Scheu davor haben, finanzielle Unterstützung bzw. eine Aufstockung zur Pension (Ausgleichszulage) zu beantragen. Darüber informiert die Seite www.pensionsversicherung.at, Sichtwort „Ausgleichszulage“, oder die Pensionsversicherungsstellen. Seniorinnen und Senioren sollten sich nicht scheuen, auch im Sozialamt nach Unterstützung nachzufragen, Sozialmärkte aufzusuchen und gesellschaftlichen Anschluss zu suchen – Isolation macht schließlich krank. Mit Seniorentarifen sind Eintritte in Museen und viele andere Einrichtungen günstiger. Den Mut haben, dort auch alleine hinzugehen!

Armutsgefährdet ist, wer weniger als diese Monatseinkommen (Bruttowerte) zur Verfügung hat:

1-Personen-Haushalt                         1.259 Euro

1 Erwachsene/r und ein Kind           1.636 Euro

2 Erwachsene                                       1.888 Euro

2 Erwachsene und zwei Kinder        2.643 Euro

 

Daniela Müller
Beitrag veröffentlicht am 23. April 2020
Bildquelle: Marija Kanizaj