Zeigen Sie sich bitte!

Bilder von alten Frauen sind in Zeitungen oder Magazinen kaum zu finden. Das muss sich ändern, sagt die Alternsforscherin Ulla Kriebernegg. Corona hat dem noch eines aufgesetzt, findet der Gerontologe Franz Kolland. Ein Gespräch über unser falsches Gesellschaftsbild, in dem Bilder von alten Menschen kaum Platz finden.

Die Stilikone Iris Apfel ist mit 99 Jahren schräg, laut und fällt auf, die kürzlich mit 87 Jahren verstorbene US-amerikanische Richterin Ruth Bader Ginsburg hat es als Kämpferin für Gerechtigkeit zu Ruhm und Ehre gebracht. Doch was ist mit einer durchschnittlichen Frau in diesem Alter? „Die ist unsichtbar“, sagt die Grazer Alternsforscherin Ulla Kriebernegg. Sie lehrt am Institut für Amerikanistik an der Universität Graz, ist Vorsitzende der Age and Care Research Group Graz und fordert: „Wir brauchen ein neues Alternsbild. Unseres ist defizitär.“ Damit meint sie das Bild, das die Gesellschaft von Menschen über 60, 65 Jahre hat, und die gemeinhin als „beige, langweilige Masse“ wahrgenommen werden. Mit Corona seien sie zur verletzlichen Gruppe geworden, was sich für viele der über 60-Jährigen als ironisches Dilemma zeigt: Gehören sie nun zu den Geschützten oder zu denen, die Andere schützen müssen? 

„Wir kennen die böse Alte und die liebe Schutzbedürftige.“ Kriebernegg über Frauenrollen im Alter

In den Medien gezeigt würden erfolgreiche Senioren, die über Geld verfügen und braun gebrannt auf ihrer Yacht säßen und ältere, noch immer beruflich erfolgreiche Männer. „Für Frauen hingegen haben wir überhaupt nur wenige Rollen“, betont Kriebernegg, „wir kennen die böse Alte und die liebe Schutzbedürftige.“ Vor allem in den Medien würden ältere und alte Frauen als frustriert oder pflegebedürftig dargestellt, oder als „durchgeknallte Alte“. „Selten sieht man eine normale 70-jährige Frau, die im Leben steht und die man für ihre Kompetenz bewundert“, sagt Kriebernegg. „Unser Gesellschaftsbild lässt den jungen Mann Karriere machen, der älteren Frau gesteht man kein intellektuelles Leben zu, sondern lediglich unbezahlte Care-Arbeit, ein Aufopfern für die Familie. Sie wird als Defizitmodell dargestellt“, sagt die Wissenschaftlerin. Frauen, die altersarm sind, verschwinden ohnehin, Frauen mit Migrationshintergrund sowieso. Von ihnen wüssten wir nicht einmal, wie sie im Alter leben. Was bräuchte es? „Mehr Sichtbarkeit für ältere Frauen und keine Klassifizierungen, die gibt es ja auch bei 50-Jährigen nicht. Es gibt nicht die Senioren, das ist eine große, heterogene Gruppe.“ 

Was würde ein neues Bild vom Älterwerden bewirken? Ulla Kriebernegg: „Es macht einen großen Unterschied, ob man Altwerden mit Angst vor dem Sterben, Siechtum und Pflegeheim assoziiert oder mit einem selbstbestimmten Leben, in dem man noch mit 80 Klavierspielen lernen kann. Man muss es nur zulassen.“ So lange die Tageszeitungen keine älteren Frauen zeigten, sondern auf alt getrimmte 50-Jährige, werde sich auch das Bild nicht ändern, ist die Forscherin überzeugt. 

Alte Menschen hat niemand gefragt

Der Gerontologe Franz Kolland hält in diesem Zusammenhang auch Corona für ein großes Problem. Auch wenn Epidemologen der Meinung seien, klug entschieden zu haben, indem man die ältere Generation vor zu vielen Kontakten schützte, wurde über die „Nebenwirkungen“ zu wenig gesprochen, findet Kolland. Alle Diskussionen hätten sich hauptsächlich um die wirtschaftlichen Schäden gedreht. Soziale Aspekte gingen unter, auch deshalb, weil die älteren Menschen selbst zu wenig zu Wort kamen. „Kollegen aus den USA und aus Kanada haben das auf den Punkt gebracht“, erzählt Kolland. „Stirbt ein 35-Jähriger an Corona, ist das eine Schlagzeile wert, nicht, wenn ein 80-Jähriger stirbt, erst dann wieder, wenn der Tote 103 Jahre ist.“ Das mit dem Schutz bei Corona sei schon gut gewesen, ergänzt Kolland. „Nur schätzen Seniorinnen und Senioren die Gönnerhaftigkeit nicht, die dadurch entstanden ist. Wir müssen aufpassen, dass wir älteren Menschen ihre Eigenentscheidungen und Selbstbestimmungen nicht absprechen“, erklärt er. Ageism heißt übrigens der Fachausdrück für das Diskriminieren von älteren Menschen. Das ist sogar strafbar. Wie Kriebernegg ist auch der Gerontologe Kolland der Meinung, dass die Leistungen und Beiträge älterer Menschen für die Gesellschaft viel stärker dargestellt werden müssten. „Wie ältere Menschen aktuell dargestellt werden, trägt nur zur weiteren Stigmatisierung bei und führt zu weiterem Rückzug. Schutz vor Corona ja, aber die negativen sozialen Nebenwirkungen müssten besser abgefedert werden“, sagt er. Ja, es gebe 65-Jährige, die multimorbid sind und COVID-19-gefährdet. „Man kann aber nicht 1,8 Millionen Menschen über einen Kamm scheren! Und mit wem reden Medien, wenn es darum geht, wie die Person die Infektion überstanden hat? Mit einer jungen Frau Dichand, nicht aber mit einer älteren Person.“

 

Das ganze Magazin gibt’s hier: shop.abenteuralter.at

 

Daniela Müller
Beitrag veröffentlicht am 5. November 2020
Bildquelle: Shutterstock