Kurt Mayer: Laufen für ein neues Leben

Lieblosigkeit, Perspektivenlosigkeit, Aggressionen, mehr hatte er in seinen ersten Lebensjahren nicht kennengelernt. Als Kind und Jugendlicher ist er all dem im wahrsten Sinne des Wortes davongelaufen, später dann von Sieg zu Sieg. Bis zum allerwichtigsten: den Sieg über eine schwere Erkrankung.

„Da ich bald einmal in meinem kleinen Leben, ohne es zu wissen, vor etwas davonrennen musste, begann ich sehr früh mit dem Laufen. Das Wunderschöne damals war, dass ich in eine Traumwelt hineinlief – in eine Welt voller atemberaubend schöner Gedanken.“

Mit diesen Zeilen beginnt das erste Kapitel seines Buches „Kein Leben ohne Sieg“. Der Autor: Kurt Stefan Mayer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Trofaiach, später in der Sportwelt als x-maliger steirischer Landesmeister mit allen Siegen von 400-Meter-Läufen bis zum Marathon zum Begriff geworden, ebenso erfolgreich in Ski-Langlaufbewerben, seit Langem gesuchter Heilmasseur mit einer Praxis in Graz und einer in Wien und außerdem Coach von Spitzensportlern.

Sein spannendes Leben vom Kleinkind, das gleich nach der Geburt einfach irgendwo hingegeben wurde, bis zum gefeierten Sportstar könnte Bände füllen, Kurt Mayer hat es auf 140 Seiten komprimiert niedergeschrieben.

„Abenteuer Alter“ besuchte Kurt Mayer nicht nur in seiner Praxis in der Klammerth-Passage in der Grazer Herrengasse, sondern auch in seinem am Windischbühel in der nun zu Trofaiach gehörenden Gemeinde Gai gelegenen aparten Einfamilienhaus und natürlich in seinem Baumhaus am Beginn des Rötzgrabens und erhielt bei dieser Gelegenheit tiefen Einblick in seine schwierige Kindheit, seine sportliche Laufbahn und in die Philosophie dahinter, die ihm die Kraft, das Durchhaltevermögen und vor allem auch die Freude am Sport verliehen hatte.

Eine allessagende Antwort findet sich im Vorwort zu seinem Buch: „Wenn du in der Hölle lebst, findest du es lange Zeit ganz normal – du kennst ja nichts anderes. Aber irgendwann tun sich Wege auf, Fluchtwege. Dann musst du aufbrechen, dich auf den Weg machen. An eines glaube ich ganz fest: In der Hölle zu leben macht dich jedenfalls nicht träge. Und du kannst durchaus wie ich eines Tages im Himmel auf Erden landen.“

 

 

Kurt Mayer war ein sogenanntes unerwünschtes Kind, wurde von der Mutter nach der Geburt weggegeben, lernte erst mit drei Jahren annähernd so etwas wie Familie kennen, als er auf den Bauernhof zur Urgroßmutter kam, nahm aber als Erinnerung an diese Zeit vor allem jenen traumatisierenden Eindruck mit, als ein Großonkel seine Frau erschlagen wollte, sie von der Urgroßmutter in allerletzter Minute gerettet wurde. 

Noch im Vorschulalter der nächste Schock: „Da ist auf einmal eine wildfremde Frau in der Stube gestanden und meine Taufpatin hat mir erklärt, dass diese Frau meine Mutter ist.“ Die Großfamilie begann sich allmählich aufzulösen, Kurt Mayers Eltern heirateten sogar, der Vater erbte den Hof und bekam zusätzlich einen Arbeitsplatz bei der VOEST-Alpine in Donawitz. Für den kleinen Kurt begann jetzt erst recht jene Hölle, von der er im Vorwort seines Buches spricht. „Eigentlich hat meine Kindheit“, denkt Kurt Mayer an diese Zeit zurück, „mit fünf Jahren aufgehört. Den ganzen Sommer über Kühe hüten, Zäune hat es nicht gegeben, also war ich die ganze Zeit in Bewegung, um die Herde zusammenzuhalten. Den Kühen nachlaufen, dem meist betrunkenen Vater vor seinen Schlägen davonlaufen. Und eine Mutter, der ich nie etwas recht machen konnte, für die ich immer nur der Trottel war. Kontakt mit anderen Kindern hat es kaum gegeben.“

In der Schule wäre Kurti für Hand- und Fußball recht talentiert gewesen, von daheim fehlte dafür jedoch die „Freigabe“. Schifahren? Super, bis die ersten Schi nur noch Anzündholz waren. Dann, schon in der Hauptschule, der berühmte Tag X. In Trofaiach sollte ein Crosslauf stattfinden und dafür wurde ein Sporttag für die dritten und vierten Klassen der Hauptschule ausgerufen, um die besten Starter zu ermitteln. Siehe da, der Kurt Mayer lief allen davon.

„Für mich war das ein Schlüsselerlebnis, ich war der Schnellste der Schule und noch nie zuvor in meinem Leben hat mir jemand gesagt, dass ich etwas gut gemacht hätte. Ich habe gespürt, dass mir etwas gelungen war, das man weiterverfolgen sollte. Nächstes Ziel war dann eben dieser Crosslauf. Als Training bin ich im Obstgarten am Abend bis zum Erbrechen um die Bäume gelaufen, den 1.200-Meter-Lauf in der Schülerklasse habe ich dann auch gewonnen.“

Bis zum 14. Lebensjahr verzeichnete er noch mehrere Crosslauf-Siege, dann die Ausbildungsfrage, die alle entschieden, nur nicht er. „Wir brauchen neue Kellerfenster, der Bua soll Tischler lernen“, fällte der „Familienrat“ den Entschluss – Widerrede zwecklos.

Längst war man in Sportvereinen auf den talentierten Trofaiacher aufmerksam geworden, er war praktisch zum „Zwei-Saisonen-Sportler“ geworden – im Winter Skilanglauf, im Sommer Langstreckenlauf. Und immer gegen den Willen der Eltern, für die Laufen die „unnützeste Spinnerei“ der Welt war.

Ein Sportler und zwei Saisonen – Langlaufstrecke und Langlaufschi
Die nächsten Lebensstationen- und jahrzehnte des Kurt Mayer lassen sich nur im Zeitraffer darstellen, die „Siegerwand“ mit den Medaillen und Pokalen in seinem Haus erzählt eindrucksvoll seine Erfolgsgeschichte. Wie viele es sind, kann er nur schätzen: „Aber 500 werden schon zusammenkommen.“ 

Mit seinem Motivationsbuch eröffnet Kurt Mayer Perspektiven des Denkens und Fühlens, die Wege aufzeigen, wie sich Kraftströme aus eigenen Reserven mobilisieren lassen. Verfasst hatte er den Text in „seinem“ Baumhaus, in luftigen vier Metern Höhe mit herrlichem Panoramablick über ganz Trofaiach, und errichtet hatte er dieses massive Holzgebäude nach seinem Schlaganfall in eigener Handarbeit. Das Schreiben hat er wieder mühsam erlernt und rund um das Haus hat er einen Waldlaufweg angelegt, auf dem er mit beinharter Konsequenz seine Laufrunden dreht.

Schlaganfall vor sechs Jahren
„Offenbar muss ich schon mit einem hohen Blutdruck auf die Welt gekommen sein, die Ärzte haben mich oft darauf aufmerksam gemacht, aber bei meinen sportlichen Aktivitäten konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass gerade ich schlaganfallgefährdet sein könnte. Und doch ist es passiert. Vor sechs Jahren“, erinnert sich Kurt Mayer an diese schicksalshaften Stunden und Tage. Doch schon unmittelbar nach seiner Einlieferung hatte er begonnen, sich selbst zu therapieren, ließ seine gesamte berufliche Erfahrung in die Eigenbehandlung einfließen, massierte mit der gesunden linken Hand die gelähmte rechte Körperhälfte, überwand mental die Ängste, verweigerte die Reha und … läuft heute wieder.

Text von Dieter Rupnik
Bilder von Luef Light
Beitrag veröffentlicht am 23. Februar 2023

Marco von Münchhausen: Hier wird nicht gelogen!

Hört man den Namen „Münchhausen“, denkt man unweigerlich an den „Lügenbaron“. Noch heute gibt es rund 60 Münchhausens in Deutschland. Abenteuer Alter traf einen Nachfahren in – wie passend – München. 

D er Name Münchhausen muss für einiges herhalten: Er wird mit Lügen in Verbindung gebracht und signalisiert Achtung, wenn es um die Glaubwürdigkeit einer Aussage geht. Seit 2000 trägt ein Asteroid diesen Namen, ein sich drehender Brocken, vielleicht in der Größe einer Kanonenkugel, der einem darauf sitzenden Baron Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen bestimmt einen schönen Blick in den Weltraum gewährt hätte. Das mit dem Ritt auf der Kanonenkugel war ja gelogen, wie wir wissen, doch eines ist gesichert: Den Lügenbaron selbst hat es wirklich gegeben, der Name von Münchhausen lebt bis heute weiter. 

Ein Nachkomme heißt mit vollständigem Namen Dr. Marco Freiherr von Münchhausen. Er lebt in Florenz, wo die adelige Familie ein Anwesen besitzt, und in München, dort durfte Abenteuer Alter ihn besuchen. Der Titel Freiherr, so erklärt er im Gespräch, sei ererbt und dürfe in Deutschland zum Namen getragen werden, auch wenn dort wie in Österreich die Vorrechte und Titel des Adels abgeschafft wurden. Ein Freiherr sei anno dazumal dem Titel des Barons gleichgekommen, nur dass ein Freiherr von der Steuerpflicht befreit war, was heute leider nicht mehr gelte, erklärt Münchhausen und schmunzelt. Marco von Münchhausen ist kein direkter Nachkomme des 1797 verstorbenen „Lügenbarons“, denn der war kinderlos. Heute leben rund sechzig Münchhausens in Deutschland, die meisten südlich von Hannover, wo sich das Schloss Schwöbber befindet, in dem auch der Lügenbaron lebte. Marco von Münchhausens Großvater verkaufte es Anfang des 20. Jahrhunderts und erwarb das Anwesen in Florenz. Für den 1956 geborenen Nachkommen ist der Name selbstverständlich –„Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, ,Müller‘ zu heißen“ –, was er sich als Zehnjähriger mitunter gewünscht hätte. Nicht nur einmal sei er mit „roten Ohrwascheln“ dagestanden, als der Lehrer fragte, wo seine Kanonenkugel sei oder darauf hingewiesen hatte, dass jemand seines Namens es doch bitte mit der Wahrheit genauer nehmen sollte. Dabei war der „Lügenbaron“ von Münchhausen gar kein Lügner. 

Anno dazumal liebte man den Baron für seine Erzähl- und Fabulierkunst. Wie sich erst vor Kurzem herausgestellt hat, können lediglich drei Geschichten dem „Lügenbaron“ zugeschrieben werden, die jedoch von anderen Autoren niedergeschrieben wurden. So hat ein gewisser Graf Rochus Friedrich zu Lynar für seine Bediensteten zur Aufmunterung ein Büchlein geschrieben, in dem Geschichten des Lügenbarons enthalten waren. Zu Berühmtheit kam Münchhausen durch ein Buch mit Geschichten, das 1785 in Großbritannien erschien und ein Jahr später ins Deutsche übersetzt wurde, „Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande – Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen“. Darin sind die drei bekannten Erzählungen vom achtbeinigen Hasen, dem Ritt auf der Kanonenkugel und der Geschichte, wie sich der Baron am eigenen Schopf nebst Pferd, auf dem er sitzt, aus dem Sumpf zieht. 

„Lügenmärchen“ nur im Buchtitel
Marco von Münchhausen sieht sich hingegen der Wahrheit und den alten Werten seiner adeligen Herkunft verpflichtet: Respekt, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und ein positives Einwirken auf die Gesellschaft. „Meine Eltern haben mir beigebracht, dass alle Menschen gleich und wir nichts Besseres sind“, sagt er im Gespräch mit Abenteuer Alter. Er studierte Rechtswissenschaften, seine Doktorarbeit schrieb er über das Urheberrecht, kehrte „der Juristerei“ den Rücken und wurde Persönlichkeitstrainer und Lebenscoach, er schrieb zudem einige Sachbücher. Hier „entleiht“ er sich mitunter Überliefertes vom „Lügenbaron“: So tragen zwei seiner Bücher den Titel „Die sieben Lügenmärchen von der Arbeit“ oder „Das Münchhausen-Prinzip – Wie man sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht“. Freilich sei das physikalisch nicht möglich, erklärt der Autor, hingegen aber psychologisch: Der Sumpf stehe für unsere Ängste, Sorgen, Bedrängnisse, unser Unwohlsein, in der Regel das, was wir selbst erzeugen. Sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen, sieht Marco von Münchhausen darin, Dinge anzunehmen, wie sie sind. Erst dadurch trete Entspannung ein, die wiederum zu Ideen und Lösungen führe. In seinen Büchern beschäftigt sich Marco von Münchhausen mit den Unwägbarkeiten des Lebens, er rät unter anderem, wie man mit dem innernen Schweinehund bestmöglich umgeht: Nicht bekämpfen, denn er ist Teil der Persönlichkeit; jeder Mensch habe innere Widerstände, es sei besser, sich den Schweinehund zum Verbündeten zu machen. Die „Salamitaktik“ zum Beispiel ist eine erfolgsversprechende Methode: Wer große Vorhaben scheibchenweise angeht, verringert die Gefahr, dass der innere Schweinehund querschießt. 

Beim Reden fließt da und dort ein bayrisches „Ja mei“ ein, Marco von Münchhausen erzählt gern und packend über seine Lebensthemen: Resilienz, innere Stabilität, ein ausbalanciertes und gutes Leben, zu dem bei ihm freilich Genuss und Müßiggang genauso gehören wie Zielstrebigkeit und Leistung. Zum Schreiben seiner Bücher nimmt er sich Auszeiten dort, wo es schön ist: in der Schweiz, auf einer griechischen Insel, an der Nordsee. „Zum Schreiben muss ich mich ausklinken“, sagt er. Auch wenn das Anwesen in Florenz, wo er rund ein Drittel seiner Zeit verbringt, schön sei, stünden dort immer Arbeiten an. Rund 120 Tage im Jahr sind mit Vorträgen, Seminaren und Coachings gefüllt, Schreib- und kreative Zeiten kommen hinzu.

Man muss sich nichts mehr beweisen
Der nunmehr 66-Jährige nimmt auch das Älterwerden recht gelassen. Der Druck sei nicht mehr da, etwas leisten zu müssen, sich selbst zu beweisen oder einen bestimmten Umsatz zu lukrieren, „das kann schon sehr entspannend sein“, sagt er. „Ich habe auch noch Reiseziele, möchte einmal nach Ägypten oder Machu Picchu. Doch wenn ich das nicht mehr erreiche, ist es auch nicht schlimm. Je weniger wir den Fokus in der Zukunft haben, desto mehr können wir entspannen.“ Mehr Freizeit ist dem 66-Jährigen heute wichtiger als eine prall gefüllte Arbeitswoche, an ein Aufhören denkt er dennoch nicht, vielleicht tritt er „so in zehn Jahren“ kürzer und verbringt dann mehr Zeit in Florenz. Arbeiten ist ein wichtiger Teil in seinem Leben, jetzt und auch künftig. „Vielleicht löse ich später mal den Gärtner in Florenz ab und mache das selbst.“

 

 

Hier können Sie das Gespräch nachhören:

 

Text von Oliver Zeisberger
Bilder von Hüttenhain
Beitrag veröffentlicht am 24. Februar 2023

Rudolf Streicher: Der „Doppel“- Dirigent

Noch hätten die Wassertemperaturen an der Alten Donau mit 20 Grad eine gewisse Schwimmerfreundlichkeit versprochen. Nachdem jedoch die Lufttemperaturen um deutliche sechs Grad darunter liegen, ein lebhafter Nordwind garniert mit Regentropfen aus Richtung Bisamberg und Kaisermühlen über die verlassenen Ufer bläst, die Befindlichkeit um die Zehn-Grad-Marke liegt, hat sich der Badebetrieb an diesem Frühherbsttag von x auf null reduziert. Bis auf eine Ausnahme.

Wir trafen diesen „Ausnahme-Herren“ – und schicken gleich voraus, dass er im Jänner 85 geworden ist – im „Sommerdomizil“ der Familie, nur durch einen parkähnlichen Garten und einen Radweg von der Alten Donau getrennt, wo er noch vor einer Stunde seine tägliche Wassergymnastik absolviert hat.

Das Wetter? Für ihn kein Thema, geschwommen wird bei jedem Wetter. „Abenteuer Alter“ traf jenen Mann, dem das „Profil“ einmal eine Umschlagseite mit Foto und dem Titel „Österreichs gefragtester Manager“ widmete, der eine entscheidende Phase seines Lebens in Leoben verbrachte, heute noch beste Beziehungen in die obersteirische Montanmetropole unterhält und sich als „Doppel-Dirigent“ einen weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannten Namen und am politischen Parkett als Verkehrsminister eine gute Figur machte, kurzum: Rudolf Streicher.

Vorerst eine kurze Erklärung zum „Doppel-Dirigenten“: Rudolf Streicher dirigierte jahrzehntelang Staats- und andere Großbetriebe mit tausenden Mitarbeitern, heimste dabei großen Applaus ein, lernte auch Misstöne zu ertragen, und er dirigiert immer noch große Orchester, vor allem „seine“ Donauphilharmonie Stockerau, der er als Dirigent und künstlerischer Leiter seit mehr als 35 Jahren vorsteht. Dazu kommen 26 Jahre als Präsident der Wiener Symphoniker, erst im vergangenen Sommer legte er diese Funktion zurück.

Er dirigierte große Betriebe und große Orchester

In die Wiege gesungen war es dem im Jänner 1939 in der Mostviertler Gemeinde Wallsee in eine Mechanikermeister-Familie hineingeborenen Rudolf Streicher nicht, dass er einstens auf seiner Visitenkarte Titel wie Diplomingenieur, Dr. mont. (Doctor rerum montanarum), Hon. Prof., Senator e.h., Kom.-Rat, Aufsichtsrats-Vorsitzender, Generaldirektor, Minister und um ein Haar auch Bundespräsident hätte anführen können. Es war die Mutter, der das musikalische Talent ihres mittleren Sohnes auffiel und sie meldete ihn schon mit sieben Jahren zum Geigenunterricht an, was eine erste Weichenstellung für seine zukünftige Entwicklung bedeuten sollte und eine kleine Zwiespältigkeit mit sich brachte. Da die Musikalität der Mutter, dort das technische Verständnis des Vaters – im Sohn vereinigten sich beide Gene. Sofort nach der Hauptschule begann er in der VOEST Linz eine Lehre als Werkzeugmacher und technischer Zeichner, studierte neben seiner handwerklichen Ausbildung am Linzer Bruckner Konservatorium Violine, Gesang und Dirigieren. Und schon als 18-Jähriger dirigierte er das VOEST-Jugendorchester. In der Lehrwerkstätte wurde er schon im zweiten Lehrjahr von seinen Lehrlings-Kollegen zum Jugendvertrauensrat gewählt und diese Funktion war sein Einstieg in die Politik. Und so dauerte es auch nicht lange und Rudi Streicher war zum Landesobmann der Gewerkschafts-Jugend aufgerückt.

1957 arbeitete er zunächst als Facharbeiter im Werkzeugbau, nahm in der Folge dankend ein Stipendium der VOEST an, das mit der Verpflichtung verbunden war, nach Abschluss des Studiums mehrere Jahre für das Unternehmen zu arbeiten. Mit der HTL -Matura erreichte er schließlich die Hochschulreife.

Anschließend wollte er eigentlich Welthandel in Wien inskribieren, weil der Verkauf seinen beruflichen Intentionen entsprach. Einer der VOEST-Direktoren legte ihm aber nahe: „Junger Mann, wenn Sie ein guter Verkäufer werden wollen, müssen Sie Technik studieren. Verkaufsgespräche in unserer Branche sind in Zukunft mehr und mehr Fachgespräche.“

„Entscheidung über Welthandel oder Technik habe ich der ÖBB überlassen.“

War er erst wenige Jahre zuvor vor der persönlichen Entscheidung, Berufsmusiker oder Techniker zu werden, gestanden, musste er nunmehr die für ihn wesentlich wichtigere Wahl zwischen Welthandel oder Technik treffen. Rudolf Streicher erinnert sich lachend: „Ich konnte mich einfach nicht und nicht entschließen und habe daher, völlig unprofessionell, diesen wichtigen beruflichen Wegweiser schließlich an die ÖBB delegiert. Das war so: Auf der Fahrt mit dem Bus zum Bahnhof Amstetten habe ich für mich festgelegt, dass ich ‚unwiderruflich‘ in jenen Zug einsteigen werde, der als erster entweder nach Wien oder über Selzthal nach Leoben abfährt. Der Zug nach Leoben ist um 20 Minuten früher abgefahren. Das war’s dann.“

Der junge Niederösterreicher hatte sich damals also für die Fachrichtung Hüttenwesen entschieden, wurde nach kurzer Zeit Vorsitzender des dortigen Vereines Sozialistischer Studenten Österreichs, heiratete 1966 die bildhübsche Lehramtsstudentin Gilde Gande, Tochter einer Leobener Kaufmannsfamilie mit bekanntem Modenhaus und eine im österreichischen Schinationalkader etablierte Schirennläuferin, deren erfolgreich begonnene  Karriere allerdings in Cervinia mit zwei eingegipsten Beinen vorzeitig endete.

Streicher wurde Vater – Tochter Dagmar reüssiert nach Jahren beim ORF heute als Filmproduzentin und Drehbuch-Autorin – er studierte, musizierte und spielte im Streichquartett der Hochschule Violine. Er war Mitgründer des Hochschulorchesters und Gründer des Hochschulchores und machte unter anderem von sich reden, weil es ihm über alle politischen Gegensätze hinweg erstmalig gelungen war, sangesfreudige Studenten aller Couleurs zu einem gemeinsamen Chor zu vereinen, mit dem Ziel, eine Schallplattenaufnahme der traditionellen „Bergmanns und Studentenlieder“ zu produzieren.

Streicher erinnert sich an die spannenden Platten-Produktionstage im Gösser-Bräu: „Die unterschiedlichen politischen Einstellungen der Sänger spielten während der Aufnahmetage im Gegensatz zu all dem, was sich rundherum abspielte, keine Rolle. Auf der einen Seite musste ich mit den Berufs-Musikern noch proben und die Gagen aushandeln, was deshalb heikel war, weil wir kaum Geld hatten und einige Musiker daher schon ihre Instrumente wieder einpacken wollten, und auf der anderen Seite warteten die Sänger in der entstandenen Zwangspause auf die Aufnahme. Es gab Freibier und das hat sich auf die Atmosphäre, aber auch auf die Konzentration bei der Aufnahme entscheidend ausgewirkt. Der Verkauf war für die Hochschülerschaft ein Riesenerfolg, 5.000 Langspielplatten gingen gleich in den ersten Monaten weg.“

1969 verließ Streicher Leoben als Diplomingenieur in Richtung ÖIG, (später ÖIAG) dem damaligen Dach der Verstaatlichten Industrie, die ihm das geeignete Sprungbrett für die weitere Karriere abgab. Bereits 1974 wurde er auf Vorschlag von seinem Chef Dr. Franz Geist in den Vorstand der Vereinigten Metallwerke Ranshofen-Berndorf berufen und nur sechs Jahre später durfte er sich schon Generaldirektor der Ranshofen-Berndorf AG nennen. Seine Erfahrungen verpackte er in eine Dissertation, wofür man ihm 1979 in Leoben die Doktorrolle überreichte. Für einige ein schmerzhafter Ein- schnitt, für die Ranshofener Aluminiumelektrolyse selbst eine entscheidende Überlebensfrage, Streicher begründete dort bei Braunau am Inn seinen Ruf als erfolgreicher Sanierer.

„Mit sechs Prozent Eigenkapital und hohen Verlusten habe ich das Unternehmen übernommen, mit 30 Prozent Eigenkapital und 30 Milliarden Schilling an liquiden Mitteln habe ich es 1986 verlassen.“

Ein Manager mit Fähigkeiten, die auch bei der krisengeschüttelten Steyr-Daimler-Puch-AG gefragt waren, folglich: Rudolf Streicher wurde im Jänner 1986 zum Generaldirektor dieses Unternehmens berufen, nicht jedoch, ohne einen Monat zuvor – aber das ist eine andere Geschichte – für 24 Stunden Generaldirektor der VOEST gewesen zu sein. Inzwischen galt der erst 47-jährige Erfolgsmanager längst als ministrabel und Rudolf Streicher wurde noch im Juni desselben Jahres Minister für Verkehr und Öffentliche Wirtschaft.

Zu heißen Diskussionen führten seine von Michael Sekyra und Oskar Grünwald unterstützten Eingriffe in die ÖIAG-Struktur, z. B. wurden circa 130 Aufsichtsratsposten auf 70 reduziert und von diesen 70 wurden 24 neu besetzt und nach Qualifikation ausgesucht.

Auch ein Streicher-Erfolg: „Flüster-LKWs“, neue Nummerntafeln und Wunschkennzeichen. Aber: „Hundertwasser nannte mich Nazi“

Eng verbunden bleibt sein Name mit dem Transitabkommen, den „Flüster-LKWs“ für die Brennerstrecke, heute alles Selbstverständlichkeiten und der „Kennzeichenänderung“, die schwarzen Nummertaferln hatten ausgedient.

Der „Nummern-Adel“ probte den Aufstand, harmlos aber im Vergleich zu dem, was ein Friedrich Hundertwasser aufbot. Streicher: „Der war gerade aus dem ‚steuerschonenden‘ Neuseeland auf Heimaturlaub gekommen und hatte eine Chance gewittert, seine Popularität mit einem Gegenentwurf zu steigern, hatte leider auch vorübergehend die Kronen Zeitung für seine Kampagne einspannen können.“ Rudolf Streicher, der sich von ‚Friedensreich‘ Hundertwasser auf offener Straße sogar als Nazi beschimpfen lassen musste, konnte sich schließlich mit Hans Dichand über ein Ende der Kampagne einigen, ein Händedruck, die Sache war erledigt. Und als Ersatz für die vielen niederstelligen Blechtaferln gab es nun die Wunschkennzeichen als Entschädigung, aber gegen bare Münze. Rudolf Streicher im O-Ton: „Das brachte bisher Einnahmen von 130 Millionen Euro.“

Bundespräsidentenwahl 1992 und die Rolle des Jörg Haider

„Rudi, du bist der Beste dafür, Rudi, du musst es machen, Rudi, du gewinnst hundertprozentig“, in dieser und ähnlicher Tonlage erging damals 1992 die drängende Einladung von Franz Vranitzky und vielen anderen Parteifreunden an den sich zu Beginn Sträubenden, sich doch als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl zur Verfügung zu stellen. Sämtliche Um- fragen sprachen für ihn und Rudolf Streicher führte gegen Thomas Klestil von der ÖVP im ersten Wahlgang überlegen. Dann die Stichwahl – nur noch 43,1 Prozent der Stimmen für den Favoriten. Die von Franz Vranitzky getextete Anti-Haider-Formel „Keine Koalition mit der FPÖ“ hatte die Stimmen des rechten Lagers der ÖVP zugeführt. Rudolf Streicher: „Als mir Jörg Haider unter vier Augen erklärt hat, dass er nicht für mich stimmen würde, konnte ich mir den Wahlausgang natürlich schon aus- rechnen.“

Bundespräsidentenwahl abgehakt, Rückkehr auf den Generaldirektorsessel bei Steyr-Daimler-Puch, alarmierende Umsatzzahlen, bevorstehende Privatisierungen … Der Rest ist Wirtschaftsgeschichte, wie sie (noch) nicht in den Büchern steht.

„CA-Eigentumsvertreter haben SDP-Verkauf hinter meinem Rücken abgeschlossen.“

Rudolf Streicher lässt versonnen den Blick über seine Franz-Grabmayr-Bilder gleiten, macht ihn dann an dem kleinen Bildausschnitt, den die Bäume im Garten auf die Alte Donau freigeben, fest; es ist, als zögen die turbulenten Jahre an ihm im Zeitraffertempo vorbei. Die südkoreanische DAEWOO, die unbedingt Steyr-Daimler-Puch kaufen wollte – Streichers Instinkt und reiche Erfahrung ersparte den Eigentümervertretern und damit der Republik eine Riesenblamage, Verkauf abgesagt, der DAEWOO-Chairmann später im Gefängnis. Nicht beeinflussen konnte er die Abläufe beim Verkauf von Steyr Daimler Puch AG an Magna, weil diese ohne Einbeziehung des Steyr Daimler Puch Managements von der Creditanstalt direkt und allein verhandelt wurden. „Frank Stronach sagte mir später, ich wurde deshalb nicht einbezogen, weil man der Meinung war, ich wäre gegen diesen Deal. Sicher hätte ich einen höheren Verkaufspreis vorgeschlagen.“ Präsident der Austria Wien von 1997 bis 1999, Nachfolger: Frank Stronach. Dann die Jahre 1999 bis 2001 als Vor- stands-Vorsitzender der ÖIAG und sie hätten nicht die Handschrift von Rudolf Streicher getragen, wäre ein Stein auf dem anderen geblieben. Mit Schwarz-Blau kam dann das jähe Ende. „Der Grasser wollte mich mit allen Mitteln weghaben.“ Wenige Wochen nach seinem Antritt als Minister meinte er, Streicher und auch Johannes Ditz sollten durch Leute seines Vertrauens ausgetauscht werden, was auch geschah.

Diese vorzeitige Vertragsauflösung war schließlich nicht ein großer Nachteil für Rudolf Streicher, als Fachmann und Branchenkenner hatte er bestens vorgesorgt, auch den Gewerbeschein für Unternehmens-beratung erworben, Gesellschaften gegründet, war auf Beteiligungen eingegangen, hatte eine Stiftung ins Leben gerufen, sein Herz aber an die Musik gehängt. Dafür sprechen nicht nur die rund 250 Aufführungen, davon 90 in aller Welt, sowie Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen. Für die Steiermark besonders erwähnenswert sind die 20 Benefizkonzerte im Advent für die Basilika Mariazell mit den NÖ Tonkünstlern.  Sein Repertoire umfasst mehr als 100 Werke der Klassik und Romantik sowie eine Vielzahl von Werken der Strauß-Dynastie. Seinem Dirigat folgten prominente Orchester wie z. B. die Wiener Symphoniker, das RSO-Orchester, die Niederösterreichischen Tonkünstler, das Mozarteum Orchester Salzburg, das Bruckner Orchester,  das Johann Strauß Orchester, das Ambassade Orchester, mit dem er in der WM-Halle St. Anton das traditionelle Neujahrskonzert dirigiert. Einladungen als Gastdirigent führten ihn wiederholt nach Tschechien, Ungarn, Italien, Russland, Südkorea, China, Südamerika und Japan, wo er mit den dortigen Berufsorchestern musizierte. Die Frage nach seinen Orden und Auszeichnungen stellen wir besser nicht, denn eine vollständige Aufzählung würde den redaktionellen Raum sprengen und er ist außerdem der Typ, der nur eine einzige Auszeichnung wirklich schätzt – wenn er seinen Taktstock senkt, sich vor dem Publikum verbeugt und großen Applaus ihn umfängt.

Text von Dieter Rupnik
Fotos von Günther Peroutka
Beitrag veröffentlicht am 09. Februar 2023

Die stärksten Frauen von Allen

Was sind das für Leute in der Hospizbewegung, die Menschen in der letzten Lebensphase und ihre Angehörigen begleiten?

Es gehört Einiges dazu, an der Seite von Mitmenschen zu sein, die in der ultimativen Lebensphase sind. Man denkt an Gestalten mit kräftigen Geistes- und Seelenmuskeln, aber tatsächlich sind es Menschen wie du und ich. Diese Erkenntnis machte der Autor bei einem Einführungsseminar für Hospizbegleiter als einer von drei Männern unter 22 Frauen. Sogar altersmäßig ist die Gruppe bester Durchschnitt. Fünf Frauen und Männer, die schon im Pensionsalter sind, standen in dem Seminar des Hospizvereins zehn unter
40 Jahren gegenüber. Es sind keineswegs überwiegend Seniorinnen und Senioren, die sich dieser Aufgabe stellen. 

S o bunt gemischt wie das Alter sind die Lebensumstände des angehenden Hospizpersonals. Von der Pensionistin bis zum Diplomingenieur sind alle beruflichen Erfahrungen vertreten. Für die Seminarleiterin ist diese Buntheit der Lebensentwürfe sogar vorteilhaft und keinesfalls ein Hindernis in der Begleitung der Menschen. Die meisten Teilnehmer haben in der engeren Familie Erlebnisse mit Angehörigen im letzten Lebensabschnitt und erzählen der Runde mit großem Ernst und Engagement davon. Viele haben erlebt, wie schwer sich Menschen in dieser Lage tun und erzählen von der Hilflosigkeit, die sie empfunden haben. Sie ist ihnen Ansporn, die Ausbildung zur Hospizbegleitung zu machen. Sie stellen kluge Fragen zu Themen, die ihnen noch fremd sind, und scheuen sich nicht, sich mit der heiklen Problematik auseinanderzusetzen. Die Offenheit und Ehrlichkeit des Gesagten sind überraschend und wohltuend. Man bekommt Einblicke in die Lebenswelt von Menschen, die Nachbarn sein könnten, und fragt sich, ob es hinter der Wohnungstür der wirklichen Nachbarn auch solche reichen Lebenserfahrungen gibt.

Manche Teilnehmer sagen ganz offen, sie wollen diese Ausbildung nur machen, wenn sie nicht mit Glaubensfragen konfrontiert werden. Man spürt, welche Wunden die Kirche einigen Menschen aktiv oder passiv zugefügt hat. Die Seminarleiterinnen erklären ebenso offen, dass Religiöses kein Teil der Ausbildung ist und kein Glaubensbekenntnis vorausgesetzt wird. Sie erzählen aber, dass die meisten Menschen, die sich für eine Mitarbeit im Hospizwesen entschieden, dies auch aus religiösen Motiven tun. Aber auch und gerade sie sind angehalten, sich bei der eigentlichen Begleitung in dieser Hinsicht zurückzuhalten. Beschwerden, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter eines Hospizteams bei der Begleitung einer hilfsbedürftigen Person etwa „zu viel betet“, hat es in 30 Jahren noch nie gegeben, kann man hören. Niemand weiß, ob jemand durch die Hospiztätigkeit (wieder) zu einem Gottglauben gefunden hat, und gleichzeitig geistert der Gedanke durch’s Gehirn, dass wahrscheinlich noch keine Helferin und kein Helfer dabei den Glauben verloren hat.

Wer wie der Autor bei diesem Seminar einmal in Kontakt mit den Aktiven im Hospizwesen gekommen ist, wird sie nie vergessen. Die Frauen und (wenigen) Männer, die das ehrenamtlich tun, strahlen ausnahmslos etwas Positives aus. Sie haben sich der Begleitung von Mitmenschen in ihrem ultimativen Lebensabschnitt verschrieben, treten aber nicht – wie man so sagt – „in Sack und Asche“ auf und sind keine weltfremden Betschwestern. Sie stehen mitten im Leben, gehen den Schattenseiten nicht aus dem Weg und begegnen der Sache und den Betroffenen auf eine besondere Art: mit energischer Behutsamkeit.

Die selbst gewählte Aufgabe scheint ihnen kraftvolle Energie zu geben. Ein Blick in die Runde bekräftigt den Eindruck, hier eine besondere Gruppe anzutreffen: die stärksten Frauen, die man sich vorstellen kann. Dasselbe gilt natürlich auch für die wenigen Männer. Es ist die Kraft, die aus der Bereitschaft kommt, in schwierigen Situationen anzupacken und nicht wegzuschauen. Sie gehen auf Mitmenschen konkret ein und handeln nicht beliebig, sie gehen der Herausforderung am Ende eines Lebens nicht aus dem Weg, sondern stellen sich ihr.

Es ist nicht angebracht, im Zusammenhang mit der Betreuung sterbender Mitmenschen ein internationales Ranking zu bemühen. Aber was Frauen in der Steiermark beim Aufbau der Hospizbewegung in rund 30 Jahren zustande gebracht haben, verdient höchste Anerkennung. Mehr als 800 Frauen (und wenige Männer) stehen im Bundesland fast rund um die Uhr bereit, um Menschen in ihrer finalen Lebensphase beizustehen und deren Angehörige zu begleiten und zu entlasten. Diese Zahl muss man in Relation setzen zu den jährlichen Todesfällen in der Steiermark. Bei rund 11.000 Menschen, die uns pro Jahr verlassen, zählt das Land mehr als 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hospizvereins. In wahrscheinlich keinem Land der Welt ist die Chance so groß, im Fall des Falles entsprechende Hilfe zu bekommen. Die Hospizbewegung kann ihre Leistungen bei uns fast flächendeckend erbringen. Das ist ein großer „Luxus“, den alle zu schätzen gelernt haben, die damit in Kontakt gekommen sind.

Erst seit 2022 ist die Hospizbegleitung in Österreich ein regulärer Bestandteil der Krankenversorgung in Österreich und nicht mehr eine unverbindliche freiwillige Leistung von Privaten. Zwar gab es dafür schon zuvor Budgetgelder von Bund und Ländern, die Hospizvereine waren aber Bittsteller. Seit 2022 gibt es einen Rechtsanspruch auf die Finanzierung von Hospizteams, Tages- und stationären Hospizen, mobilen Palliativteams oder Palliativkonsiliardiensten. Damit stellt die Politik sicher, dass Personen, die diese Art von Hilfe brauchen, sie auch unabhängig von ihrer familiären Lage bekommen. Im Sozialministerium wird ein Fonds aufgebaut, der bis 2024 auf 108 Millionen € aufgestockt wird und dessen Erträge für die Hospiz- und Palliativversorgung zweckgewidmet sind.

An der Freiwilligkeit der Hospizbegleitung wird die finanzielle Besserstellung nichts ändern. Sie wird aber dazu beitragen, dass diese Dienste wirklich überall flächendeckend angeboten werden können, dass die Ehrenamtlichen wenigstens die
Fahrtkosten erstattet bekommen und dass ihre Ausbildung und Qualifikation auf höchstem Niveau gewährleistet ist.

Während die Politik sonst sehr darauf achtet, dass ihre Leistungen bekannt werden, blieb die staatliche Aufwertung der Hospiz- und Palliativbegleitung weitgehend unbeachtet. Das ist ganz im Sinne der Akteuren, denn ihr Interesse ist ohnehin nicht öffentliche Aufmerksamkeit, sondern die bestmögliche Begleitung der Menschen in ihrer schwierigsten Lebensphase.

Text von Johannes Kübeck
Beitrag veröffentlicht am 19. Dezember

Hansi Hinterseer: Kitzbühel ist mein Lebenselixier

Die Berge strahlen im Sonnenschein, der Blick auf die Gipfel glasklar,  Kühe weiden auf tiefgrünen Wiesen. Heimatfilm? Textzeilen aus einem Hansi-Lied? Auf jeden Fall pure Tiroler Wirklichkeit!

„Kitzbühel ist mein Lebenselixier“, schwärmt der einstige Schiprofi und Schlagerstar Hansi Hinterseer, während er drinnen im Café den Ausblick auf diese Traumkulisse und den Duft von frisch gebackenem Brot genießt. Und erzählt: „Natürlich bin ich auch gerne am Meer. Aber Kitzbühel, die Berge, die Natur hier, das ist schon bärig.“ Und deshalb besingt er diese Idylle in seinen mittlerweile mehr als 450 Liedern auch so gerne und begeistert damit seit Jahrzehnten eine treue Fangemeinschaft. „Ich könnte nie ein Lied über die Stadt singen, das passt einfach nicht zu mir“,  setzt der Star der volkstümlichen Musik ganz auf Authentizität, um schon im nächsten Moment wieder bei seinen Wurzeln auf dem Berg zu sein: „Ich bin auf der Seidlalm in Kitzbühel aufgewachsen. Dort habe ich früh gelernt, vor allem von meinen Großeltern, die Schönheit der Jahreszeiten bewusst zu erleben – wie den Frühling, wenn alles sprießt und zu leben beginnt. Den wunderbaren Sommer mit blühenden Wiesen.“ Die heile Welt also, die er so gerne in seinen Lieder besingt? Dagegen protestiert Hinterseer förmlich: „Es gibt keine heile Welt. Das wissen wir.  Wenn man allerdings bereit und fähig ist, die Schönheit der Natur und der Berge zu sehen, zu erkennen und zu genießen, dann kann das durchaus sehr heilsam wirken.“ Durch seine Kindheit auf der Alm hat er jedoch auch die weniger schönen Seiten der Natur kennen und damit respektieren gelernt: „Frostige, eiskalte Winter. Die Besucher im Wirtshaus meines Großvater haben meist ja nur das Schönwetter gekannt. Wir, die dort gelebt haben, haben auch die harten Seiten von Kälte und Schnee erlebt.“ Von seiner bescheidenen Kindheit, vom tief verschneiten Schulweg, den er oftmals auf Schiern bewältigt hat, spricht Hinterseer gerne. All das sieht er ebenso als Grundstein für seine erfolgreiche Musiker-Karriere wie den Schisport. Hinterseer hat im Schizirkus ja bereits in sehr jungen Jahren international große Spuren hinterlassen und es auf eine beachtliche Sammlung an Erfolgen und Edelmetallen gebracht. „Der Sport hat mir ganz viel gelernt, weil Sieg und Niederlage da ja ganz eng beieinanderliegen. Ich habe tolle Erfolge erlebt, aber auch ganz grausige Niederlagen. Da glaubst du im ersten Moment, es bricht eine Welt zusammen. Wenn dann auch noch die Brutalität der Medien dazukommt, die über dich herziehen, die völlig außer Acht lassen, dass hinter dem Sportler auch ein Mensch steht, dann ist das eine harte Sache. Aber es waren genau diese Niederlagen, aus denen ich auch gelernt und ganz viel für mein Leben mitgenommen habe. Der Sport zeigt, wie schnell eine Tür auf- und auch wieder zugehen kann“, erinnert sich Hinterseer zurück. Gerade einmal 14 Jahre jung, wurde er in den Österreichischen Schi-Nationalkader aufgenommen. Als Sohn des Olympiasiegers Ernst Hinterseer stand das Talent von Anfang an im Rampenlicht: „Mich begleiten seit meinem sechsten Lebensjahr eigentlich laufend Kameras. Durch die Leistungen meines Vaters stand ich von Anfang an im Scheinwerferlicht und damit auch unter großem Erfolgsdruck; die Erwartungshaltung war enorm. Das war nicht immer leicht. Dennoch möchte ich keine Minute davon missen; es war auch eine große Chance. Der Sport ist nämlich die beste Schule im Leben. Die Erfahrungen haben mir dann auch später im Musikgeschäft sehr geholfen.“

 

Eine Karriere, die im Vergleich zum Schisport völlig unverhofft und unerwartet begann – bei der Geburtstagsparty des Musikproduzenten Jack White, der das Gesangstalent des Schistars rasch erkannt hat. Der Rest ist Musikgeschichte. Denn Hansi strahlt nun schon seit fast dreißig Jahren als  Fixstern am volkstümlichen Schlagerhimmel. Dass seine Art, Menschen vorrangig mit leichten Melodien und so manch idyllisch verklärter Liedzeile zu unterhalten, immer wieder auch für augenzwinkernde Kritik sorgt, geht am Sunnyboy („Eine Journalistenerfindung!“) zwar nicht ungehört vorüber, lässt ihn aber gelassen: „Es hat halt jeder seine Musik – und jeder seinen Geschmack. Das soll man respektieren. Und wenn ich Menschen mit meinen Liedern glücklich machen kann, dann freut mich das. Dann hat sie etwas und tut sie etwas Gutes!“ Wer je bei einem Hansi-Hinterseer-Konzert die Glückseligkeit in den Gesichtern der Fans gesehen hat, wird daran keine Sekunde zweifeln. Nach dem Sommer-Open-Air in Kufstein und den Auftritten beim Musikherbst am Wilden Kaiser dürfen sich die heimischen Hansi-Hinterseer-Fans übrigens schon bald auf den nächsten Auftritt freuen –  und zwar im Dezember in Saalfelden. Außerdem stehen Konzerte in der Schweiz, in Kroatien und Deutschland auf dem Programm.  Für das nächste Jahr ist auch wieder eine neue CD vorgesehen. „In Zeiten wie diesen ist das mit der Planbarkeit ja nicht ganz so einfach“, lässt das aktuelle Weltgeschehen mit seinen bekannten wirtschaftlichen Auswirkungen am sonst so blauen Himmel des Strahlemannes nun doch die eine oder andere dunkle Wolke aufziehen. Womit dieses Thema aber auch schon wieder erledigt ist: „Das Weltgeschehen möchte ich nicht kommentieren!“ Sein Beitrag zu den schwierigen Zeiten: „Menschen mit meiner Musik glücklich machen. Musik kann in schweren Phasen zu einem wichtigen Bestandteil im Leben werden und dich über so manches Tief bringen.“ Und auch wenn Hansi privat Musik genießt, greift er vorwiegend in die Volksmusik- und Schlagerkiste: „Ich höre gern die Lieder meiner Kollegen. Aber ich mag auch Blues und Soul und Musik aus den 70ern und 80ern.“ Hits aus den Jahren seiner Jugend!

Keine Angst vorm Älterwerden

Denn auch wenn ihm das Image des ewig Jungen anhaftet, trägt Hinterseer mittlerweile doch auch schon 68 Jahre auf dem Buckel. Angst vor dem Älterwerden hat er allerdings nicht. „Ich bin zum Glück gesund – und sehr dankbar dafür. Aber klar denkt man daran, dass man nur eine relativ kurze Zeitspanne auf dieser Welt ist und die Zeit verdammt schnell vorbeigeht. Das ist wie beim Bergsteigen: Je weiter man hinaufkommt, umso mehr sieht man ins Land hinein. Das ist das Schöne am Älterwerden – der Blick weitet sich, man hat viel aus der Vergangenheit gelernt. Aber wie beim Bergsteigen weiß man auch, dass die Luft dünner wird.“

Von dünner Luft ist beim 68-Jährigen aber vorerst einmal noch absolut keine Rede: „Ich fühle mich rundum fit und gesund“, verrät er. Ein Rezept hat er da allerdings nicht: „Ich habe gute Gene, ich baue auf eine gute Kindheit auf, ich betreibe viel Sport – von Schifahren und Bergwandern bis zu Tennis und Golf – und ich führe einen durchaus geerdeten Lebenswandel. Bei mir kommt das Gesunde, Strahlende und Positive einfach von innen. Dazu trägt ganz viel auch meine tolle Familie bei; sie gibt mir enormen Rückhalt.“  Da nennt Hinterseer vor allem seine Frau Romana, die seit 37 Jahren fest an seiner Seite steht: „Ich habe ja überwiegend weibliche Fans, was mich sehr stolz macht. Da braucht man natürlich auch eine Partnerin, die mitspielt und das versteht. Meine Romana hat mir diesbezüglich immer den Rücken frei gehalten. Sie ist eine unglaubliche Stütze in meinem Leben. Und ja, wir genießen auch nach all den Jahren wirklich jeden Tag, den wir zusammen sind.“ Romana hat übrigens schon ganz viele Lieder für den Star der volkstümlichen Musik geschrieben, so etwa auch den aktuellen Albumtitel „Weil es dich gibt“.

Keine Spur von Bühnenmüdigkeit

Zur Freude seiner Fans zeigt sich bei Hansi nach all den Jahren noch keine Spur von Bühnenmüdigkeit. Ganz im Gegenteil! „Ich bin voller Lust und Motivation. Ich habe unglaublichen Spaß daran, Musik zu machen, Konzerte zu geben und Menschen mit meinen Liedern zu beglücken. Ich frage mich da: Was kann ich machen, das den Leuten guttut? Schon allein die Ideen machen mich dann selber glücklich und motivieren mich, weiterzugehen. Und weiterzumachen. Gerade in der jetzigen Zeit ist es mir ein ganz großes Anliegen, mit meinen Liedern positive Stimmung zu den Menschen zu bringen und ihnen schöne Momente und eine gute Zeit zu schenken. Mein Blick ist also absolut nach vorne gerichtet“, versichert der sympathische Barde, ohne auch nur einen Gedanken an so etwas wie eine Abschiedstournee zu verschwenden. Und dankbar für alles, was das Leben ihm an Gutem beschert.

Dankbarkeit ist für den stolzen Opa übrigens eine ganz wesentliche Kategorie; die Basis für ein gutes Zusammenleben. Und da entfährt ihm plötzlich ein flammendes Plädoyer für die Menschlichkeit: „Es ist so wichtig, sich dessen bewusst zu sein, was man hat – und dankbar dafür zu sein. Es wäre schön, wenn die Menschen dankbarer wären. Zeigen wir Respekt und beweisen wir Toleranz im Umgang miteinander. Hinterfragen, bewerten und beurteilen wir nicht immer alles. Nicht immer mehr und mehr haben wollen!  Gehen wir doch einfach ,normal´  und anständig miteinander um. Sagen wir Bitte und Danke.“ Diesem tiefen inneren Anliegen, das man ihm auf’s Wort abnimmt, entspringt wohl auch Hansis Lebensmotto: „Leben und leben lassen!“

Und eine grundlegende sympathische Gelassenheit und Freundlichkeit, wenn er dann zum wohl tausendsten Mal die Frage nach seinen Fellboots gestellt bekommt: „Ja, mittlerweile habe ich ein paar Stück davon. Mein erstes Paar stammt aus den 70ern, ich habe es in Italien gekauft – da waren diese Stiefel voll im Trend. Irgendwann in den 90ern habe ich sie dann für Dreharbeiten für meine Musiksendung aus praktischen Gründen wieder angezogen – es war kalt und hatte jede Menge Schnee. Das war´s dann. Seitdem gehören sie zu mir und haben mittlerweile Kultstatus! Selbst in einer Auslage in der Fifth Avenue in New York habe ich sie gesehen. Und auch die No Angels sind mit solchen Stiefeln auf die Bühne gegangen.“ Sogar die Hansi-Hinterseer-Wachsfigur in Madame Tussauds im Wiener Prater wurde nachträglich mit dem Kultschuhwerk ausgestattet. Mittlerweile sind die  Fellboots geliebte, aber auch mit Augenzwinkern betrachtete Markenzeichen von Hansi  geworden – wie sein Strahlelächeln, seine blonde Haarpracht  und sein „bärig“.   Der sympathische Vollprofi sieht das völlig entspannt: „Mein Gott, was soll´s. Ich bin, wie ich bin!“

 

Beitrag veröffentlicht am 21. November
von Johanna Vucak

Nora Schmid: Auf eine weitere Saison!

Im Interview mit Nora Schmid, Intendantin der Oper Graz

Frau Schmid, Sie brechen Ihre letzte Saison als Opernintendantin hier in Graz an. Freudig? Wehmütig?

NORA SCHMID: Neugierig und gespannt würde ich sagen! Allein wenn ich an die Premiere von Madama Butterfly denke: Ich war in der Hauptprobe im 2. und 3. Akt so berührt, dass es mir emotional förmlich den Boden unter den Füßen weggezogen hat – und das, obwohl ich diese Oper mittlerweile ja in- und auswendig kenne. Für Wehmut bleibt keine Zeit, dafür ist momentan viel zu viel los. Außerdem lebe ich sehr bewusst im Hier und Jetzt und konzentriere mich voll und ganz auf den Moment.

Wir erleben gerade sehr brüchige Zeiten. Welchen Stellenwert nimmt da die Oper, die Kunst generell ein? Verändert das ihren Zweck, ihre Aufgaben?

SCHMID: Wir stehen für ein einzigartiges Gemeinschaftserlebnis. Für gemeinsame Gefühle, Klänge, Musik. Das ist in Zeiten wie diesen eine große Qualität. Wir konfrontieren mit Stoffen, die dazu anregen, noch stärker über uns, unsere Gesellschaft, unsere Welt nachzudenken. Aber auch mit Stoffen, wo wir die Welt und die Geschehnisse vergessen und uns einfach nur amüsieren können. Oder Stoffen, die förmlich überwältigen. Das sind Angebote der Kunst, der Oper, die sehr wertvoll sein können. Ganz abgesehen davon, dass gerade in Zeiten der Vereinzelung, Corona hat uns das ja gezeigt, ein großes Verlangen nach Gemeinschaft besteht. Abgekappt zu sein, hat bei den Menschen Spuren hinterlassen, das haben mir Besucher jeden Alters nach den Lockdowns immer wieder erzählt. Dementsprechend groß war die Freude, als Opernbesuche dann wieder möglich waren.

Worauf darf sich das Opernpublikum in Ihrer letzten Saison freuen?

SCHMID: Auf vieles! Und auf Unterschiedliches! Auf eine unglaublich ästhetische und berührende „Madama Butterfly“ beispielsweise, auf Heiterkeit und positive Energie mit einem Schleier von Melancholie in Smetanas  „Verkaufter Braut“, auf die österreichische Erstaufführung von Kurt Weils wunderbarem Musical „Ein Hauch von Venus“, auf Leidenschaft und feurige Energie in „Carmen“, auf Parodie und spitze Feder in Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ und und und … Den Schlusspunkt meiner Intendanz wird Nino Rotas Boulevard-Komödie „Der Florentiner Hut“ setzen. Ich finde es sehr wichtig, dass man über sich selbst lachen kann. Diese komische Oper ist für mich daher ein schöner Abgang – mit Augenzwinkern und Leichtigkeit.

Welche Spuren wird Nora Schmid, aus ihrer eigenen Sicht, in Graz hinterlassen?

SCHMID: Wir haben ganz viel angestoßen, Werke zum ersten Mal nach Graz geholt, viele zu Unrecht in Vergessenheit geratene Komponisten in Graz gespielt. Ich denke da etwa an die „Polnische Hochzeit“ oder „Die Passagierin“. Wir haben viele Meisterwerke präsentiert und vielen jungen Künstlern eine Bühne gegeben.

Was sehen Sie generell als die großen künftigen Herausforderungen im Opernbetrieb?

SCHMID: Alles das, was momentan grundsätzlich eine Herausforderung darstellt, trifft auch den Opernbetrieb: Inflation, Energiedebatte etc. Wir sind ein internationaler Betrieb, da muss man sich beispielsweise ständig fragen, ob die Leute noch fliegen sollen oder dürfen. Da ist es wichtig, Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wertvoll das ist, was wir hier machen. Und das gilt es weiterhin möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Man ist aber auch gefordert, darüber nachzudenken, welche Geschichten man erzählen kann, soll oder muss. Eine Frage, die in jeder Stadt, für jede Oper, anders beantwortet werden muss.

Sie sind aus Dresden nach Graz gekommen und kehren nächstes Jahr, nach acht Jahren, wieder nach Dresden zurück. Worin liegt für Sie der große Reiz der Semperoper – und der Stadt?

SCHMID: Die Semperoper ist eines der schönsten Opernhäuser der Welt; mit fantastischen künstlerischen Möglichkeiten – einem hervorragenden Orchester, einem großartigen Chor und einem sensationellen Ballett. Da bietet sich naturgemäß die schöne Herausforderung, ein noch größeres Programm zu entwickeln. Aber Dresden ist für mich generell eine ganz besondere Stadt. Der Himmel ist dort so unglaublich weit und außerdem wurde mein Sohn in Dresden geboren. Das verwurzelt.

Zurück nach Graz: Was war für Sie hier der Opern-Moment schlechthin?

SCHMID: Da gibt es natürlich mehrere starke Momente. Aber einer war ganz bestimmt die Premiere der „Griechischen Passion“ gleich in meiner ersten Saison. Das Thema Flucht, die Fragen „Wie definieren wir uns als Gemeinschaft, wie offen, wie durchlässig sind wir?“ waren 2015 brandaktuell. Da hat uns die Realität voll eingeholt. Und wir haben alle gespürt, es ist etwas Wichtiges, das wir hier tun. Und das hat sich auch auf das Publikum übertragen. Dazu ist Oper da!

Sie stehen ja mit 44 Jahren in der Mitte des Lebens. Wie nehmen Sie Alter wahr?

SCHMID: Alter ist für mich keine Kategorie. Wenn ich einem Menschen begegne, mache ich mir absolut keine Gedanken darüber, wie alt dieser Mensch ist. Man muss sich ganz einfach aufeinander einlassen – da spielt das Geburtsdatum keine Rolle. Ich mag auch im Zusammenhang mit dem Opernpublikum die Diskussion um die Überalterung der Besucher und das Publikum von morgen nicht. Jeder, der in die Oper kommt, ist das Publikum von heute. Wir haben diesbezüglich in den letzten Jahren die Spanne übrigens deutlich geöffnet.

Und was mich selbst angeht, so lebe ich ganz im Hier und Jetzt. Und irgendwann, in vielen Jahren, sofern es mich dann noch gibt, werde ich genauso wie heute im Hier und Jetzt leben. Ich würde mir wünschen, dass es dieses Kategoriedenken rund um’s Alter gar nicht gibt. Wenngleich: Natürlich hat man mit fortschreitenden Jahren ein anderes Bewusstsein, was die Endlichkeit angeht. Mich treibt das aber eher an!

Beitrag veröffentlicht am 27. November
Text von Johanna Vucak

Zu Besuch bei Waterloo: Seine kleine Welt

Waterloo hat in Mörbisch sein Paradies gefunden. Wir von Abenteuer Alter durften ihn dort besuchen und erfahren, dass es nie zu spät für eine kleine feine Welt und die große Liebe ist.

Damals, 1976, als die Welt ein bisschen übersichtlicher war, als Schlagermusik noch die Massen begeistern und man sich an die Teilnehmer eines Songcontest erinnern konnte, sang sich ein österreichisches Popduo in die Herzen der Radiohörer. Waterloo und Robinson hieß das 1969 gegründete Duo, das für Siebzigerjahre-Hits wie „Baby Blue“ oder das von Christian Kolonovits geschriebene „Hollywood“ berühmt wurde. Internationale Bekanntheit erlangten die beiden, als sie beim Songcontest mit der englischen Version von „Das ist meine kleine Welt“ im niederländischen Den Haag für Österreich teilnahmen und prompt auf Platz 5 landeten. Die deutschen Vertreter, die Les Humphries Singers, erreichten lediglich Platz 15, gewonnen hat „Brotherhood of Man“ mit ihrem Song „Save your kisses form me“. Die größere Strahlkraft im Duo hatte jedoch stets der Sänger Waterloo, Hans Kreuzmayr. Und der hat vor wenigen Jahren seine kleine Welt in Mörbisch gefunden, die wir besuchen durften.

Auf einer Anhöhe mit herrlichem Blick auf den Neusiedlersee begrüßt er uns. Vorbeifahrende Radfahrer tuscheln, Hans Kreuzmayr lacht. „Ich sage ja immer, dass ich ein kleines Häusel habe. Oft bleiben Radfahrer stehen und rätseln, ob das wohl mein Haus ist“, und deutet auf ein blaugraues Gartenhäuschen, das auf dem Nachbargrundstück steht. Wir betreten den Garten seines Hauses, drei Stunden dürfen wir bei ihm verbringen, in denen er launig über sein Leben berichtet. Stets an der Seite seine Andrea, von ihm verehrte Ehefrau, Officemanagerin, Checkerin und Kümmerin. Sie hat ihm anfangs Tanzunterricht gegeben, als er 2008 für Dancing Stars angefragt wurde, und es – trotz „bescheidenem Talent“ – fast bis ins Halbfinale geschafft hatte. Sie war es auch, weswegen das Paar den Wohnsitz vor vier Jahren vom oberösterreichischen Wels ins Burgenland verlagert hat. „Ich habe das Wetter dort nicht mehr ausgehalten“, sagt Andrea. So sei man nach Rust gefahren, um sich nach einer Immobilie umzusehen. „Nichts haben wir gefunden“, erzählt sie, „ich war todtraurig und dachte mir schon, dass ich bis zu meinem Lebensende im oberösterreichischen Nebel gefangen sein werde.“ Vor der Abreise drehte das Ehepaar mit dem Auto noch eine kleine Runde durch Mörbisch und kam vor einem wunderschönen kleinen Haus zum Stehen, das zum Verkauf stand. „Es ist genau für uns gemacht“, sagt Waterloo und bittet in den heimeligen Garten, für den Andrea verantwortlich zeichnet. „Ich liebe es halt, zu gestalten. Magst einen Kaffee?“, fragt sie und verschwindet im Haus.

Hans Kreuzmayr, der heuer 77 wird, steht noch immer auf der Bühne, und das gern. Waterloo und Robinson trennten sich 1981, es gab zwischendurch immer wieder Comebacks, 2007 beschloss man, eigene Wege zu gehen. Waterloo macht Musik, wie die Einflüsse gerade daherkommen, er hat etwa ein indianisches Album produziert und eines mit seinem Stiefsohn Erik. Im Keller liegt sogar noch eine Aufnahme mit dem amerikanischen Countrystar Willie Nelson, die er rechtebedingt bislang noch nicht veröffentlichen durfte. Weil er ohne Label arbeitet und seine Andrea die künstlerische und organisatorische Arbeit übernimmt, kann sich Waterloo leisten, Musik aus Spaß und Freude zu machen. Die großen Erfolge der Siebziger und Achtziger mit Reisen in die ganze Welt haben ihn geprägt. Er absolvierte gefeierte Auftritte vor großem Publikum, von Japan kommen noch immer die Anfragen, dorthin ist ihm aber die Anreise zu beschwerlich.

Vom Hendlbrater zum Bühnenstar

Hans Kreuzmayr wurde im oberösterreichischen Altheim geboren, weil der Vater in Linz einen Job bekommen hatte, zog die Familie dorthin. Er wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf, in einer Souterrainwohnung, es gab nur das Nötigste. Hans absolvierte eine Tischlerlehre, es folgte das Bundesheer, er hatte mehrere Jobs, unter anderem arbeitete er als Hendlbrater in einem Einkaufszentrum. In einem Möbelhaus war er für die Gestaltung und Inneneinrichtung zuständig, dort fand jedoch der Inhaber seine charmante Art gar nicht gut. Er brauche nicht so freundlich sein, schon gar nicht zu seiner Frau, herrschte er ihn an. Auf seinem Nachhauseweg durch Linz-Urfahr sinnierte er, was er stattdessen arbeiten könne, und kam an einem leeren Geschäftslokal vorbei. Das sei ein schöner Ort für eine Damenboutique, dachte er. Eine Frau, die mit ausladendem Oberkörper und verschränkten Armen am Fenster lehnte und die Geschehnisse aus der Straße beobachtete, zeigte ihm den Weg zum Besitzer der Immobilie. Dieser meinte auf Kreuzmayrs Ankündigung, dass er den Laden gern mieten würde, aber knapp bei Kasse sei, „1500 Schilling. Passt das?“ Es passte. Für die Gestaltung des Geschäftes suchte Hans Kreuzmayr eine kreative Person, die er in der gegenüberliegenden Kunstschule in seinem späteren musikalischen Partner Josef Krassnitzer fand. Weil Kreuzmayr anfangs Schwierigkeiten hatte, für die Boutique eine Genehmigung zu erhalten, zog er einen jungen Mitarbeiter der oberösterreichischen Wirtschaftskammer zu Rate, der ihm half, die Probleme aus dem Weg zu schaffen. Sein Name war Christoph Leitl.

Der Neid gehört in Österreich dazu

Genauso wie der Erfolg seiner Damenmoden-Boutique Eglisé, in der auch die Schwester mitarbeitete, in die Höhe schnellte, ging es mit der Bühnenkarriere von Waterloo und Robinson stetig bergauf. 1969 begann ihre musikalische Zusammenarbeit, 1971 belegten sie mit ihrem Lied „Du kannst sehen“ über ein blindes Mädchen den dritten Platz bei der Show-Chance, einem von ORF, ZDF und SRG veranstalteten Talentewettbewerb. Hans Kreuzmayr erinnert sich schmunzelnd an seinen ersten Besuch bei Evamaria Kaiser im ORF, die in den 1960er-Jahren die Sendung „Gut aufgelegt“ präsentierte und heimische Talente förderte. Ihr legte er Demobänder seiner früheren Band „Melodias“ vor, worauf diese antwortet: „Lernt’s erst mal singen und dann kommt’s wieder.“ Für Waterloo war dies eine Erfahrung, die ihn bis heute prägt: „50 Prozent der Menschen mögen dich und 50 Prozent sind dir neidisch oder trauen dir nichts zu. Ich habe mir schon damals gesagt: Wenn ich es schaffe, in dieser Mitte durchzugehen, bin ich auf dem richtigen Weg.“ Neid, diese österreichische Tugend, ist dem Künstler keineswegs fremd. Nicht unerfreut sei man deshalb gewesen, als sich die Karriere des Duos Waterloo und Robinson in den Siebzigerjahren eher nach Deutschland verlegte, wo die beiden in den großen Abendshows von Peter Frankenfeld, Lou van Burg oder Hans Rosenthal oft zu Gast waren.

Seinen Weg zu finden half ihm schon sein Vater. Dieser sollte bei seinem Jobantritt bei der Voest der SPÖ beitreten, was er ablehnte. Er habe seine Prinzipien gehabt, die sich stets auf der „moralisch guten“ Seite des Lebens befunden hätten, betont Waterloo: Die Erziehung sei wohlwollend gewesen, „er hat geraucht und zu mir hat er gesagt: Du kannst machen, was du willst, ich würde es dir aber nicht empfehlen“, und als am Voest-Gelände zwei kleine Katzen gefunden wurden, hat er sie kurzerhand mit nach Hause genommen, um sie vor ihrem sicheren Tod zu beschützen. Das richtige Gespür für Mensch, Tier und Natur begleitet den Künstler bis heute. Seit vielen Jahren leben er und seine Andrea vegetarisch, nur ab und zu kommt Fisch auf den Tisch. Der Vater begleitete ihn als Kind auch nach Wien zum Vorsingen bei den Wiener Sängerknaben, zu einer Aufnahme ist es aber nicht gekommen. „In meinem Blut fließt Musik“, sagt Waterloo, der Vater hat ihn dabei stets unterstützt. Des Sohnes musikalisches Talent half diesem auch sonst im Leben: „In Mathematik bin ich einmal zwischen vier und fünf gestanden, ich mochte das Fach einfach nicht. Ich habe der Lehrerin ein Lied vorgesungen und sie hat meine Note auf einen Vierer korrigiert. Beim Marschieren beim Bundesheer hieß es oft: ,Funker Kreuzmayr, ein Lied!‘ Ich habe ein Lied gesungen und bekam dafür zwei Tage frei.“

Die echte Liebe ließ sich Zeit

Seine ruhigere Lebensphase läutete vor allem ein Ereignis ein: Als er vor 23 Jahren seine jetzige Frau kennenlernte. Er spielte damals im niederösterreichischen Winzendorf den Winnetou im Stück „Winnetou und Old Surehand“, Andreas Sohn wirkte bei der Veranstaltung mit. Die damals 40-Jährige durchlebte gerade eine schwierige Zeit und war auf dem Sprung nach Indien, dort wollte sie in einem Kinderheim mithelfen. Um das zu verhindern, intervenierte Sohn Erik bei Waterloo: „Rede ihr das bitte aus“. Der Musiker ging zur Mutter, gab ihr seine Telefonnummer und meinte: „Ruf mich bitte an, wenn du reden willst.“ Andrea arbeitete damals in einem Fotogeschäft, fasste sich, bereits mit Schmetterlingen im Bauch, ein Herz, wählte am Festnetztelefon die Nummer und legte wieder auf. Beim dritten Versuch blieb sie standhaft, Waterloo hob ab, in dem Moment betrat eine Kundschaft das Geschäft, sie stammelte nur: „Hier ist die Mama vom Erik, entschuldige, ich arbeite in einem Fotogeschäft und soeben ist jemand hereingekommen“, und legte auf. Wenige Tage später läutete das Telefon, am anderen Ende war der Musiker. Woher er ihre Telefonnummer habe? Er: „Ich habe alle Fotogeschäfte in Wiener Neustadt durchgerufen, ob es dort eine Andrea gibt.“

„Wenn ich etwas will, bekomme ich das auch“, sagt Hansi Kreuzmayr und schmunzelt. So sei das schon immer gewesen. Der Beginn dieser liebevollen und treuen Beziehung führte sie zunächst nach Oberösterreich, wo das Paar knapp 20 Jahre lebte. In Mörbisch nun haben sie ihre Bleibe gefunden, Herz und Seele sind am Tag des Einzugs ebenfalls angekommen, sagt Andrea und lacht. Wir verabschieden uns, Waterloo muss sich auf sein Konzert vorbereiten, das am nächsten Tag zu spielen ist. „Pfiat di und bis bald“, ruft er. Und ein paar Radfahrer freuen sich, den berühmten neuen Mörbischer live gesehen zu haben.

Waterloo vor seinen goldenen Schallplatten

von Daniela Müller
© Daniela Müler, Andrea Kreuzmayr
Beitrag veröffentlicht am 06. August 2022

 

Make-up-Tipps für reifere Haut

Worauf ist beim Make-up zu achten, wenn die Haut keine 20 mehr ist? Sind ab 50 bei Lidschatten und Co. dezentere Farben angebracht oder darf es auch auffälliger sein? In unserem Schmink-Tutorial gibt es die Antworten!

Marlies Herbsthofer (55) schminkt sich nicht sonderlich gern. Für Abenteuer Alter machte sie eine Ausnahme und begab sich in die professionellen Hände der Visagistin Jamileh Gohiladeh. Sie gab beim Dior-Counter bei Kastner & Öhler Beauty-Tipps für die nicht mehr ganz jungen Haut.

Die richtige Hautpflege

„Wir reden nicht von Alter, sondern von Hauttypen“, stellt Jamileh Gohiladeh gleich zu Beginn klar und schmunzelt. Dazu prüft sie zunächst die Hautbeschaffenheit und empfiehlt die passende Pflege als Basis für den ganzen Tag. Die beinhaltet bei Marlies aus der Dior Prestige-Reihe ein Feuchtigkeitsserum, eine gute Augenpflege sowie eine Tagescreme mit Sonnenschutz. Die Augenpflege ist besonders wichtig, weil dort die Haut sehr fein ist und mehr Nahrung braucht.

 

Nur den Typ betonen

Beim Schminken beginnt Jamileh Gohiladeh bei den Augenbrauen. Weil diese den Augen einen Rahmen geben, sollten sie auf jeden Fall betont werden, bei Marlies erfolgte dies dezent mit einem Augenbrauenstift zur Formgebung und einem Gel zur Fixierung. Die Farbe des Lidschattens wiederum ist Geschmackssache: Soll er einen Kontrast zur Augenfarbe bilden oder mit dieser harmonieren? Ausprobieren! Wichtig sei, sagt Jamileh Gohiladeh, beim Kauf auf hochwertige Produkte zu achten, damit die Farbe nicht in den Augenfalten verrinnt. Unverzichtbar ist für die Visagistin der Kajal zur Betonung der Augen, unserer „Fenster zur Seele“. Der Lidstrich auf dem oberen Lid unterstreicht die Wirkung der Wimperntusche. Unter diese sollte unbedingt eine Grundierung, bei Dior nennt sich das Produkt „Maximizer“: Dieser sorgt für Volumen, Länge und Dichte, die Inhaltsstoffe sind pflegend und für die Wimpern wachstumsfördernd.

Sollte man ab 50 am Stil etwas ändern?

Sich anders schminken, nur weil man ein gewisses Alter erreicht hat, wäre kein guter Rat. Wer in puncto Make-up seinen Stil gefunden hat, soll diesen fortführen, sagt die Visagistin. Ändern sollte man lediglich die Hautpflegeprodukte, ältere Haut braucht reichhaltigere Pflege. Dasselbe gilt auch für das Make-up, für nicht mehr so glatte Haut gibt es eigene Produkte. Um zu verhindern, dass der Lippenstift in kleine Fältchen um den Mund entwischt, empfiehlt sich ein Konturenstift, auch bei der Verwendung von Lipgloss. Ein Tipp aus der Redaktion: Probieren Sie zu Ihrem neuen Make-up einmal größeren und auffälligeren Ohrschmuck!

 

von Daniela Müller
© Marija Kanizaj
Beitrag veröffentlicht am 03. August 2022

Siegfried Schrittwieser: Endlich Uhu!

Warum Altpolitiker Siegfried Schrittwieser nach Landhaus, Rotem Kreuz und Kirche jetzt Uhu werden wollte.

Diese zwei Dinge zu glauben fällt einem schwer, wenn sich der – salopp formuliert, könnte man sagen – „Gute-Laune-Typ“ vor der Pernegger Frauenkirche aus seinem Ford Kuga schwingt, dass er nämlich eine Woche zuvor noch mit einer covid-bedingten schweren Lungenentzündung kämpfte und dass er soeben auch beim Siebziger angeschrieben hat. Warum sich „Abenteuer Alter“ mit dem früheren Landeshauptmann-Stellvertreter Siegfried Schrittwieser ausgerechnet vor dieser Marien-Wallfahrtskirche traf, hat einen besonderen Grund, worüber hier noch die Rede sein wird.

Auf unser scherzhaftes Kompliment zur Begrüßung „Gratuliere, der schlankste Siegi, denn es je gab“ antwortet er lachend: „Ich habe mir auch fest vorgenommen, zu meinem Siebziger ein Uhu zu werden. Jetzt habe ich’s geschafft, jetzt bin ich Uhu. Unter hundert Kilo.“

Vor sieben Jahren hatte sich der gebürtige und auch heute noch dort wohnhafte Thörler Siegfried „Siegi“ Schrittwieser aus der Landespolitik verabschiedet, nicht aber von den Menschen, für die er immer da war. Vor allem nicht für jene aus „seiner“ Region, dort ist er weiterhin omnipräsent. Nicht als stimmenwerbender Politiker, sondern als engagierter Bezirksstellenleiter des Roten Kreuzes für Bruck-Mürzzuschlag. „Ich bin im Jahr 2016 zum Bezirksstellenleiter gewählt worden und es ist dann ein Jahr später die Fusion der vier Rot-Kreuz-Bezirke Bruck, Kapfenberg, Mürzzuschlag und Mariazell gelungen und, was mich besonders freut, wir schreiben heute schwarze Zahlen.“

Ganz von ungefähr kommt dieser erfreuliche Umstand nicht, der lässt auch auf eine gewisse Beharrlichkeit und Durchsetzungsfreude des Bezirksstellenleiters zurückführen: „Natürlich besuche ich mindestens einmal im Jahr alle 19 Bürgermeister unseres Rot-Kreuz-Bezirkes, halte enge persönliche Kontakte mit der Wirtschaft und habe immerhin auf diese Art in den letzten sechs Jahren mehr als drei Millionen Euro zusätzlich auftreiben können.“ Und übrigens: Vor kurzem wurde Siegfried Schrittwieser wieder für die nächsten fünf Jahre ohne jede Gegenstimme zum Bezirksstellenleiter gewählt.

Zum Sammeln von Erfahrungen für das Rote Kreuz hatte der gestandene Landes- und Kommunalpolitiker reichlich Gelegenheit. „Denn immerhin“, so Schrittwieser, „war ich schon 1983 Ortstellenleiter vom Roten Kreuz in Thörl und dort war meine erste Aktion, dass wir eine neue Dienststelle gebaut und dabei keine Schulden gemacht haben. Und ich muss sagen, ich bin heute nach 39 Jahren Rotes Kreuz noch immer gerne für diese Einrichtung da, weil ich spüre, ich habe noch die Kraft, die Freude und die Begeisterung und die lege ich jetzt in die Arbeit für das Rote Kreuz und schaue, dass ich so viel wie möglich von dem zurückgeben kann, was ich in meinem Berufsleben erfahren habe.“

Siegfried Schrittwieser als Bezirksstellenleiter beim Roten Kreuz

Was er alles in diesem Berufsleben erfahren hat? Erstens eine profunde Ausbildung als Schlosser bei der Firma Pengg in Thörl und zweitens in „seiner“ Sozialdemokratischen Partei einen Werdegang, von dem er heute nicht ohne Stolz sagen kann: „Niemand anderer in der SPÖ hat derart viele Funktionen ausgeübt wie ich.“ Mit 16 Jahren Landesobmann der jungen SPÖ, mit 27 der damals jüngste Vizebürgermeister, Bezirkspartei Parteisekretär. Mit seiner Einsatzfreude bald in Graz aufgefallen berief ihn Peter Schachner zum Landesparteisekretär. 1987 zum ersten Mal in den Landtag gewählt, in weiterer Folge Klubobmann im Landtag, dann einen Stellungswechsel von der Grazer Landhausgasse in das Thörler Rathaus, wo er den Bürgermeistersessel einnahm.

„Nachdem man mehrfach mit dem Ansinnen, mich als Bürgermeister zur Verfügung zu stellen, an mich herangetreten ist, habe ich zu den Thörlern gesagt ‚Gut, wenn’s ihr mich unbedingt wollt’s, dann komme ich.‘ Die haben gewollt und ich habe mich an mein Versprechen gehalten und bin Bürgermeister geworden, was in der Praxis jedoch bedeutet hat: Dienstauto weg und weniger verdienen. Aber Versprechen sind dazu da, um gehalten zu werden. Und die Belohnung ist gekommen in Form von mehr als 70 Prozent der Stimmen bei der nächsten Gemeinderatswahl.“

2005 eine „Rückholaktion“ nach Graz, diesmal als Präsident des Steiermärkischen Landtages, 2009 von Landeshauptmann Franz Voves als Landesrat für Soziales der Öffentlichkeit vorgestellt und ein Jahr später nach der Landtagswahl zum Landeshauptmann-Stellvertreter mit den Ressorts Soziales und Erneuerbare Energie ernannt. 2015 dann mit 63 Jahren der Abgang von der politischen Bühne, bedacht mit höchsten Auszeichnungen, darunter auch der großen Viktor-Adler-Plakette.

Erwin Zankel, ehemaliger Chefredakteur der Kleinen Zeitung und ebenfalls gebürtiger Thörler, der Siegi Schrittwiesers politischen Weg von dessen Jugend an mitverfolgte, kommt bei der Beurteilung des Gesamterscheinungsbildes Schrittwieser zu folgendem treffsicheren Schluss: „Bei ihm hat man sich jedes Mal, wenn er wieder eine neue Funktion antrat, die Frage gestellt, ob das für ihn nicht eine Nummer zu groß sein könnte. Und man konnte recht bald feststellen: Nein, ist es nicht. Er ist in jedes Amt rasch hineingewachsen und hat es überraschend gut ausgefüllt.“

In die Wiege gesungen war dem Sohn aus dem einfachen Arbeiterhaushalt in Thörl dieser Aufstieg in die Höhen der Landespolitik sicher nicht – sechs Kinder, drei Buben, drei Mädel, Mutter Hausfrau, Vater Alleinverdiener. Mit sechs Jahren ging der Bub schon ministrieren, machte das mit Begeisterung bis zu seinem zwölften Lebensjahr, dann war einmal Schluss. „Wir hatten damals Wochendienste, das hieß eine Woche lang jeden Tag um sechs Uhr Messe, zusätzlich Begräbnisse, aber auch Hochzeiten. Die waren gefragt, weil da hat es dann hier und da auch für die Ministranten ein paar Schillinge gegeben. Aber dafür wurde ich nie eingeteilt und einmal fragte ich den Kaplan, warum ich nicht darf und er stellte mir nur die Gegenfrage: Ministrierst du vielleicht nur wegen dem Geld? Ich habe mich umgedreht, bin gegangen und nie wiedergekommen. Ich war immer schon ein Gerechtigkeitsfanatiker.“

Diese Erfahrung hat aber seine positive Einstellung zur Katholischen Kirche nie getrübt, im Gegenteil, als Landtagspräsident hat er auch den Dialog mit Bischof Egon Kapellari gesucht und gefördert und als die Frauenkirche in Pernegg, als beliebte Wallfahrtskirche auch Klein-Mariazell genannt, bedenklich zu bröckeln begann, wandte sich der damalige Bürgermeister Andreas Graßberger an seinen Freund Siegi Schrittwieser: „Du, deine Frau Liesi ist ja Perneggerin und es wäre schön, wenn du uns da helfen könntest.“ Er half, wurde Obmann des Kuratoriums zur Rettung der Frauenkirche, setzte auf sein Verhandlungsgeschick und seine Verbindungen und man überzeuge sich selbst – das barockisierte Kulturjuwel ist es allemal wert, von der Brucker Schnellstraße D 35 die Abfahrt Pernegg zu nehmen und dort innezuhalten.

Einen Ruf als erfolgreicher Kirchensanierer wird man nicht so leicht los, also folgte schon die Einladung zum nächsten Kuratoriumsvorsitz, diesmal für die Pfarrkirche von Seewiesen. „Auch das ist nun abgeschlossen und selbst das Problem in St. Ilgen, dort habe ich aber nur dem Kuratorium angehört, haben wir gelöst. Der Turm ist dort schon ein wenig schief gestanden, jetzt hält er wieder für die nächsten Jahrzehnte.“

Rotes Kreuz, Kirche, und sonst noch etwas, was ihm den „Unruhestand“ verkürzt? „Oh ja, meine Frau und ich haben uns ein Jahresticket gekauft und entdeckt, wie schön es ist, mit den Öffis zu reisen. Vor kurzem waren wir in Venedig – super. Aber an meine Altersgeneration möchte ich an dieser Stelle schon noch eine kleine Botschaft ausrichten: Es soll niemand glauben, dass er, nur weil er 70 ist, schon zum alten Eisen gehört. Es ist nämlich wirklich schön, vorausgesetzt man ist noch gesund, sich in die Gesellschaft einzubringen und etwas Gutes zu tun. Schließlich kommt auch viel wieder zurück. Und das tut einem gut.“

von Dieter Rupnik
© Luef Light
Beitrag veröffentlicht am 01. August 2022

 

Barbara Frischmuth: Mein fantastisches Leben

Barbara Frischmuth spricht mit Abenteuer Alter über ihr Ausseer Dirndl, ihren Feminismus und die Gefahr des Klimawandels.

Die gefeierte Schriftstellerin lebt und arbeitet in ihrem Haus hoch oben über Altaussee und ist durchaus froh, dass sie nicht alles mitbekommt, was „unten“ im Ort passiert. Zum Beispiel die Folgen der Bauwut im Ausseerland und im ganzen Salzkammergut, die sie stören und verärgern. Aber auch in ihrem großen Garten erkennt die Schriftstellerin Veränderungen, die sie herausfordern und die auf verblüffende Weise den Ereignissen unserer Tage ähneln. „Auch Pflanzen haben ihre Reviere und überwuchern die anderen“, beobachtet sie bei der täglichen Arbeit. Im Mai, als Barbara Frischmuth mit Abenteuer Alter telefonierte, musste sie feststellen, dass im harten Winter manche ihrer Pflanzen erfroren sind, konnte aber auch die Pracht ihrer Pfingstrosen genießen.

Die 81-Jährige kennt wie wenige sowohl das Leben in der Stadt als auch auf dem Land, in ihrem Heimatort. Ganz schnörkellos sagt sie „Altaussee ist sehr schön“. Sie kann das trennen vom Umstand, dass es hier ein Klima gibt, das ihre Pflanzen erfrieren lässt, und davon, dass sie den Flächenfraß durch die Untaten der Bauwütigen für ein ernstes Problem hält. Sie akzeptiert einige der Villen der Großbürger aus Wien oder München, wird aber energisch beim Gedanken, dass Manche aus Spekulationsgründen zwei oder drei Wohnungen horten und die Preise für Immobilien in schwindelnde Höhen treiben: „Man muss einmal Stopp sagen!“ Die äußerst erfolgreiche Autorin Barbara Frischmuh missgönnt niemandem das Erreichte, vermisst aber Grenzziehungen. „Wenn es hier zu wenig Wiesen und Umwelt gibt, wird auch Altaussee seinen Charme verlieren. Dann kann man gleich nach Kitzbühel fahren.“ Sie kennt schon Leute, die sagen, dass sie nicht mehr kommen, weil es nicht mehr das Altaussee ist, das sie lieben. „Die Ruhe, die wunderschöne Landschaft, die Natur – das hört sich alles auf.“

Das ist nicht Verbitterung, sondern derselbe Realismus, der aus ihr spricht, wenn die Touristen im Ort in Tracht und Dirndl aufmarschieren. Sie anerkennt die Kleidsamkeit des Dirndls: „Den meisten Freuen passte es“. In ihrem Schrank hängen „drei oder vier Dirndln, die ich schon ewig habe“. Das spricht wohl auch dafür, dass sie ihre Figur über die Jahre behalten hat. Sie trägt ein Dirndl nur im Salzkammergut und höchstens dann, „wenn es ein Fest gibt, wo man es halt anzieht“. So würden es alle Einheimischen halten. Offenbar tragen die Ortsfremden viel öfter Tracht als die Ausseer es tun. „Denen macht es Spaß und sie glauben dann, dass sie eher Kontakt zu den Einheimischen finden. Und für die Einheimischen ist es eine Einkommensquelle.“

Manche ihrer Beobachtungen und Empfindungen klingen lakonisch und andere wiegen schwer. Etwa, wenn Barbara Frischmuth sich intensiv mit den Themen des Lebens auseinandersetzt. Ihre Naturverbundenheit ist kein Gefühl, sondern geradezu wissenschaftlich fundiert und kommt in ihren jüngsten Büchern zu Ausdruck: „Dein Schatten tanzt in der Küche“ und „Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen“. Deshalb hat sie mehr als nur Sympathie für die Fridays for future-Bewegung. „Die Natur rächt sich zu Recht. Da kommt etwas auf uns zu, was die meisten noch immer nicht ernst nehmen und das die nächste Generationen ausbaden müssen“, sagt sie. Das ist nicht Selbstanklage, sondern Analyse.

Sie gehört einer Generation an, „die ein fantastisches Leben hatte, weil es keinen Krieg gab“ und weil die Gesellschaft „auf die erste Nachkriegsjugend geradezu gewartet hat.“ Die positive Erfahrung, willkommen zu sein, begleitet sie ihr ganzes Leben und wappnen sie für alle Herausforderungen. Umso mehr macht ihr zu schaffen, dass sie neben der drohenden Klimakatastrophe und der Pandemie auch noch einen Krieg in Europa erleben muss. Also ob die Schäden durch den Klimawandel noch nicht bedrohlich genug wären, „kommt da noch diese Zerstörung durch die Menschen dazu“. Als Schriftstellerin will Barbara Frischmuth nicht behände gleich ein Buch über dieses neue Thema schreiben, das hat sie auch in Bezug auf die Pandemie vermieden. So etwas braucht „eine längere Zeit und einen gewissen Abstand“. Zum Beispiel sagt sie über das 2019 erschienene Buch „Verschüttete Milch“, sie habe es „schon 40 Jahre lang schreiben wollen“.

Durch all die Jahre und all die Bücher, Aufsätze und Vorträge zieht sich ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Frau-Sein und zum fundierten Feminismus.

Das beginnt mit der Erfahrung zuhause, weil sowohl ihre Großmutter als auch ihre Mutter nach dem Tod des Mannes „ihren Mann stehen“ mussten, die eine in einer Fleischhauerei, die andere in einem Hotel. Man darf sich auch Barbara Frischmuth nicht als Stern vorstellen, der ohne sein Zutun von einer Sonne bestrahlt wird, sondern als eine zielstrebige berufstätige Frau. Die große Zahl von Büchern, die sie in mehr als 50 Jahren geschrieben hat, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis disziplinierter Arbeit. Diese gelebte Selbstständigkeit gerade als Frau war in ihrer Generation die absolute Ausnahme. Das sind andere Erfahrungen, als sie etwa Ingeborg Bachmann machte, von der demnächst ein Film erzählen wird, dass sie bei ihrem Lebenspartner Max Frisch auch so etwas wie Schutz gesucht habe. Die Altausseerin hat durchaus Verständnis für dieses Empfinden, sagt aber ohne Schnörkel „Ich habe immer versucht, mich selbst zu schützen.“

von Johannes Kübeck
© Luef Light
Beitrag veröffentlicht am 29. Juli 2022