Die Einsamkeit beginnt für viele Menschen oft mit Pensionseintritt. Damit man im Alter nicht allein ist, sollte man das Älterwerden planen, sagt die Gerontologin Sonja Schiff.
Es ist schön, wenn Menschen alt werden, traurig hingegen, wenn man zusehen muss, wie die Freunde wegsterben.
Sonja Schiff: Das stimmt. Deshalb muss man sich schon früh genug Gedanken darüber machen, damit man am Lebensende nicht allein ist. Es ist daher wichtig, sich bald einmal im Klaren zu werden, ob man ein ausreichendes soziales Netzwerk hat oder nur den Partner und die Familie.
Wann wäre der richtige Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen?
In meinen Pensionsvorbereitungs-Seminaren erlebe ich immer wieder, dass Menschen – vor allem Männer – ihre Frau als besten Freund nennen und darüber hinaus kaum Freunde haben. Dazu kommt, dass mit Eintritt in die Pension bis zu zwei Drittel der Sozialkontakte abhandenkommen.
Also ist für manche schon der Pensionseintritt der Beginn von Einsamkeit?
Ja, den wenigsten Menschen ist bewusst, wie wichtig die Kolleginnen und Kollegen sind, auch wenn es nur der kurze Austausch am Kopierer über das vergangene Wochenende ist. Das sind alles niederschwellige Kontakte, die in ihrer Kompaktheit äußerst wichtig sind. Wenn diese Kontakte bei Pensionsantritt wegfallen und nach und nach die wenigen FreundInnen und Familienmitglieder sterben, ist das sehr traurig. Je größer mein soziales Netzwerk, desto mehr Chancen habe ich, im Alter noch Freunde und Bekannte zu haben.
Wie lässt sich das planen?
Viele Jungpensionisten geben sich dem Glauben hin, dass die Kontakte zu den Arbeitskollegen bleiben, das ist aber unwahrscheinlich, wenn der gemeinsame Nenner Arbeit wegfällt. Will man aus der Kollegenschaft jemanden in den Bekanntenkreis holen, muss man das aktiv planen: Mit dem wanderbegeisterten Kollegen eine Bergtour pro Monat einplanen oder mit der kabarettaffinen Kollegin einen Kulturabend in regelmäßigen Abständen. Wir bewegen uns in der Regel in unserer Altersgruppe, deren Mitglieder maximal dreieinhalb Jahre jünger oder älter sind als wir selbst. Auch hier muss ich vorausschauen und jüngere Menschen in mein Umfeld holen.
Das hört sich wahrscheinlich einfacher an, als es ist.
Viele ältere Menschen haben Probleme mit dieser Vorstellung, doch in der Praxis bestätigt sich das kaum. Ich kenne eine ältere Dame, die in einer Samba-Gruppe aufgenommen werden wollte. Weil sie die deutlich Ältere war, traute sie sich anfangs nicht anzufragen. Sie überwand sich und wurde genommen. Die Jüngeren sind begeistert von ihr. Sie wurde vielen in ihrer Agilität zum Vorbild. Das Vorurteil, Jüngere interessieren sich nicht für die Älteren, muss man kappen!
Gerade in der älteren Generation gibt es viele Menschen, deren besten Freunde die Partner sind und die nach deren Tod ganz allein sind, weil der Verstorbene alle Kontakte gepflegt hat.
Das kenne ich zur Genüge. Doch diese Paare waren oft zeit ihres Lebens miteinander allein. Die jetzige Generation, die ich in meinen Seminaren betreue, sieht das schon anders und plant das Älterwerden besser. Hier möchte ich auf ein anderes Problem hinweisen: Senioren, die ihren Ruhestand im Ausland verbringen und die zurückkommen, wenn sie medizinische Versorgung brauchen. Ich erlebe oft, dass die dann null soziale Kontakte haben und sehr einsam sind. Das müsste vor allem die jetzt in Pension gehende Generation mitbedenken.
Es gibt Untersuchungen, wonach viele Pensionisten zwischen 60 und 70 ehrenamtliche Tätigkeiten übernehmen, der Einsatz ab 70 aber deutlich sinkt. Woran liegt das?
Soweit ich es wahrnehme, wird es den meisten einfach zu viel. Da müssten sich die Freiwilligenverbände genau anschauen, warum dieser Bruch passiert. Ältere Menschen haben oft das Gefühl, eine Leistung nicht mehr erbringen zu können, diese Generation wurde sehr leistungsorientiert erzogen und traut sich in der Regel nicht offen zu sagen, wenn es zu viel wird. Da müssten die Vereine die Einsatzmöglichkeiten proaktiv anders gestalten, dass die Älteren etwa weniger Stunden im Einsatz sind oder einfachere Tätigkeiten bekommen. Grundsätzlich ist Freiwilligenengagement eine gute Sache, um Menschen kennenzulernen.
Wenn man die vorhin erwähnte „Boomer“-Generation betrachtet, die jetzt in Pension geht und aktiver wie planender an das Thema „gesundes Altern“ herangeht: Was könnte das für unser schwer gebeuteltes Pflegesystem bedeuten?
Mit einem kleinen Freundeskreis, einem abgeschiedenen Wohnort, ohne Kontakt zu Nachbarn ist das Thema sehr schwierig bis fast nicht mehr auflösbar. Dazu kommt, dass der Überlebende beim Tod des Partners sich noch mehr an den gemeinsamen Wohnraum klammert, um wenigstens das stabil zu halten. Die Einsamkeit ist hier vorprogrammiert. Ich glaube, dass die nachkommende Pensionistengeneration mehr nachdenkt, über gemeinschaftliches Wohnen etwa. Auf Facebook etwa gibt es immer mehr Wohnplattformen für Senioren.
Also wird das WG-Modell der „Golden Girls“ auch hierzulande bald salonfähig?
Gemeinschaftliches Wohnen hätte den Vorteil, dass ich nicht allein bin. Ich kann mich zurückziehen, wenn ich Abstand brauche, aber ich bin nie allein. Man darf jedoch nicht der Illusion verfallen, zu sagen: Ich ziehe in eine WG und erspare mir das Pflegeheim.
Warum?
Die Architektin Ursula Spannberger und ich unterstützen bei Vorbereitungen zum Thema „Wohnen im Alter“. Erst kürzlich haben wir eine Gruppe mit sechs Frauen begleitet, die gemeinschaftliches Wohnen planten. Sie waren sich einig: Wir wollen nie in ein Seniorenheim. Dann fragten wir sie, wie sie gedenken, mit Unzulänglichkeiten und Problemen im Alter umzugehen und inwieweit man einander unterstützen möchte. Dabei kam heraus: Einkaufen ja, vorlesen auch, aber die Andere pflegen – bitte nicht. Da braucht es andere Lösungen, über die man reden muss: Hält man ein Zimmer bereit für eine Pflegerin oder ist „auf den letzten Metern“ die beste Lösung doch das Pflegeheim?
Es braucht also früh einen Plan und ein Gespräch auch mit Kindern und Angehörigen, wie man sich das Altwerden vorgestellt?
Unbedingt, ich nenne das Familienkonferenz. Das ist nicht nur für die Person selbst, sondern auch für die Angehörigen wichtig. Auch wenn das in vielen Familien ein Tabu-Thema ist.
Warum gibt es in unserer Gesellschaft noch immer die Erzählung: „Die Kinder schicken ihre Eltern ins Pflegeheim“?
Weil wir nicht darüber reden und diesen Alters- und Familienmythos haben, wonach Eltern von den Kindern zu pflegen sind. In meiner Praxis habe ich nie erlebt, dass Eltern abgeschoben werden, im Gegenteil: Am Ende des Lebens erntet man das eigene Leben. Wird jemand „abgeschoben“, hat es seinen Grund. Auf die Behauptung, ein alter Mensch sei ins Pflegeheim abgeschoben worden, muss deshalb immer die Frage folgen: Weiß man, wie der Mensch zu seinen Kindern und Angehörigen war? Vielleicht tun die Kinder in diesem Rahmen ohnehin das Bestmögliche! Ich erlebe oft das Gegenteil dessen, dass ich vor allem Frauen immer freisprechen muss, weil sie glauben, nicht genug zu tun für das Elternteil, das zeit ihres Lebens nicht immer fein war. Hier ist eine Unterbringung in ein gutes Heim oft genügend Leistung.
In unserer Gesellschaft wird Angehörigenpflege ja als selbstverständlich angenommen.
Unser Pflegesystem ist darauf ausgelegt, 80 Prozent der älteren Menschen werden daheim gepflegt, zum größten Teil von Angehörigen! Das Ehren von Mutter und Vater ist in unserer Gesellschaft tief verankert. Ich staune immer wieder über Ärzte, die bei Diagnosen zur Pflegebedürftigkeit der Eltern den – in der Regel – Töchtern immer wieder mitgeben: Jetzt müssen Sie für Ihre Mutter oder Ihren Vater da sein, als wäre es selbstverständlich, den Job und damit Einkommen wie Pensionsansprüche aufgeben zu können. Noch dazu wissen wir, dass Angehörigenpflege schneller zu mehr Pflegebedürftigkeit führen kann.
Wollen Sie das bitte näher ausführen?
Nehmen wir an, die pflegebedürftige Mutter hat Feinmotorikprobleme und kann ihre Strickjacke nicht zumachen. Sie beginnt zu nesteln, wird unruhig, klagt. Was tut die Tochter? Sie kommt und knöpft die Jacke zu. Macht sie das ein paar Mal, wird die Mutter nicht mehr versuchen, die Knöpfe selbst zu schließen. Die ausgebildete Pflegekraft würde sagen: Frau Maier, Sie können das selbst, Sie haben alle Zeit der Welt. Für die Pflegeperson ist dieses abgeklärte Verhalten einfacher, sie ist emotional mit der Frau nicht so verbunden wie die eigene Tochter. In Dänemark wurde die Angehörigenpflege auf politische Entscheidung deshalb stark zurückgedrängt mit dem Ergebnis, dass die Menschen bei gleichem Alter weniger pflegebedürftig sind als in Österreich.