Nora Schmid: Auf eine weitere Saison!

Im Interview mit Nora Schmid, Intendantin der Oper Graz

Frau Schmid, Sie brechen Ihre letzte Saison als Opernintendantin hier in Graz an. Freudig? Wehmütig?

NORA SCHMID: Neugierig und gespannt würde ich sagen! Allein wenn ich an die Premiere von Madama Butterfly denke: Ich war in der Hauptprobe im 2. und 3. Akt so berührt, dass es mir emotional förmlich den Boden unter den Füßen weggezogen hat – und das, obwohl ich diese Oper mittlerweile ja in- und auswendig kenne. Für Wehmut bleibt keine Zeit, dafür ist momentan viel zu viel los. Außerdem lebe ich sehr bewusst im Hier und Jetzt und konzentriere mich voll und ganz auf den Moment.

Wir erleben gerade sehr brüchige Zeiten. Welchen Stellenwert nimmt da die Oper, die Kunst generell ein? Verändert das ihren Zweck, ihre Aufgaben?

SCHMID: Wir stehen für ein einzigartiges Gemeinschaftserlebnis. Für gemeinsame Gefühle, Klänge, Musik. Das ist in Zeiten wie diesen eine große Qualität. Wir konfrontieren mit Stoffen, die dazu anregen, noch stärker über uns, unsere Gesellschaft, unsere Welt nachzudenken. Aber auch mit Stoffen, wo wir die Welt und die Geschehnisse vergessen und uns einfach nur amüsieren können. Oder Stoffen, die förmlich überwältigen. Das sind Angebote der Kunst, der Oper, die sehr wertvoll sein können. Ganz abgesehen davon, dass gerade in Zeiten der Vereinzelung, Corona hat uns das ja gezeigt, ein großes Verlangen nach Gemeinschaft besteht. Abgekappt zu sein, hat bei den Menschen Spuren hinterlassen, das haben mir Besucher jeden Alters nach den Lockdowns immer wieder erzählt. Dementsprechend groß war die Freude, als Opernbesuche dann wieder möglich waren.

Worauf darf sich das Opernpublikum in Ihrer letzten Saison freuen?

SCHMID: Auf vieles! Und auf Unterschiedliches! Auf eine unglaublich ästhetische und berührende „Madama Butterfly“ beispielsweise, auf Heiterkeit und positive Energie mit einem Schleier von Melancholie in Smetanas  „Verkaufter Braut“, auf die österreichische Erstaufführung von Kurt Weils wunderbarem Musical „Ein Hauch von Venus“, auf Leidenschaft und feurige Energie in „Carmen“, auf Parodie und spitze Feder in Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ und und und … Den Schlusspunkt meiner Intendanz wird Nino Rotas Boulevard-Komödie „Der Florentiner Hut“ setzen. Ich finde es sehr wichtig, dass man über sich selbst lachen kann. Diese komische Oper ist für mich daher ein schöner Abgang – mit Augenzwinkern und Leichtigkeit.

Welche Spuren wird Nora Schmid, aus ihrer eigenen Sicht, in Graz hinterlassen?

SCHMID: Wir haben ganz viel angestoßen, Werke zum ersten Mal nach Graz geholt, viele zu Unrecht in Vergessenheit geratene Komponisten in Graz gespielt. Ich denke da etwa an die „Polnische Hochzeit“ oder „Die Passagierin“. Wir haben viele Meisterwerke präsentiert und vielen jungen Künstlern eine Bühne gegeben.

Was sehen Sie generell als die großen künftigen Herausforderungen im Opernbetrieb?

SCHMID: Alles das, was momentan grundsätzlich eine Herausforderung darstellt, trifft auch den Opernbetrieb: Inflation, Energiedebatte etc. Wir sind ein internationaler Betrieb, da muss man sich beispielsweise ständig fragen, ob die Leute noch fliegen sollen oder dürfen. Da ist es wichtig, Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wertvoll das ist, was wir hier machen. Und das gilt es weiterhin möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Man ist aber auch gefordert, darüber nachzudenken, welche Geschichten man erzählen kann, soll oder muss. Eine Frage, die in jeder Stadt, für jede Oper, anders beantwortet werden muss.

Sie sind aus Dresden nach Graz gekommen und kehren nächstes Jahr, nach acht Jahren, wieder nach Dresden zurück. Worin liegt für Sie der große Reiz der Semperoper – und der Stadt?

SCHMID: Die Semperoper ist eines der schönsten Opernhäuser der Welt; mit fantastischen künstlerischen Möglichkeiten – einem hervorragenden Orchester, einem großartigen Chor und einem sensationellen Ballett. Da bietet sich naturgemäß die schöne Herausforderung, ein noch größeres Programm zu entwickeln. Aber Dresden ist für mich generell eine ganz besondere Stadt. Der Himmel ist dort so unglaublich weit und außerdem wurde mein Sohn in Dresden geboren. Das verwurzelt.

Zurück nach Graz: Was war für Sie hier der Opern-Moment schlechthin?

SCHMID: Da gibt es natürlich mehrere starke Momente. Aber einer war ganz bestimmt die Premiere der „Griechischen Passion“ gleich in meiner ersten Saison. Das Thema Flucht, die Fragen „Wie definieren wir uns als Gemeinschaft, wie offen, wie durchlässig sind wir?“ waren 2015 brandaktuell. Da hat uns die Realität voll eingeholt. Und wir haben alle gespürt, es ist etwas Wichtiges, das wir hier tun. Und das hat sich auch auf das Publikum übertragen. Dazu ist Oper da!

Sie stehen ja mit 44 Jahren in der Mitte des Lebens. Wie nehmen Sie Alter wahr?

SCHMID: Alter ist für mich keine Kategorie. Wenn ich einem Menschen begegne, mache ich mir absolut keine Gedanken darüber, wie alt dieser Mensch ist. Man muss sich ganz einfach aufeinander einlassen – da spielt das Geburtsdatum keine Rolle. Ich mag auch im Zusammenhang mit dem Opernpublikum die Diskussion um die Überalterung der Besucher und das Publikum von morgen nicht. Jeder, der in die Oper kommt, ist das Publikum von heute. Wir haben diesbezüglich in den letzten Jahren die Spanne übrigens deutlich geöffnet.

Und was mich selbst angeht, so lebe ich ganz im Hier und Jetzt. Und irgendwann, in vielen Jahren, sofern es mich dann noch gibt, werde ich genauso wie heute im Hier und Jetzt leben. Ich würde mir wünschen, dass es dieses Kategoriedenken rund um’s Alter gar nicht gibt. Wenngleich: Natürlich hat man mit fortschreitenden Jahren ein anderes Bewusstsein, was die Endlichkeit angeht. Mich treibt das aber eher an!

Beitrag veröffentlicht am 27. November
Text von Johanna Vucak