Pilgern: Der Weg als Ziel

Der Körper bewegt den Geist. Alltagsgrübeleien weichen Schritt für Schritt innerer Ruhe. Das Naturerlebnis ist intensiv, die Herausforderung manchmal auch. Seit den 1990er Jahren erlebt Pilgern eine Renaissance. Immer mehr Menschen machen sich wieder auf den Weg.

 

 

Ganz Europa ist von einem dichten Netz an Pilgerwegen durchzogen, das reicht vom norwegischen Olavsweg über die deutschen Lutherwege bis hin zum berühmten Jakobsweg. Allein hierzulande erstreckt sich ein Netz von 48 Pilgerwegen mit einer Gesamtlänge von 22.000 Kilometern, darunter die traditionsreiche Via Sacra von Hinterbrühl nach Mariazell. „Österreich ist auch ein klassisches Transitland“, sagt Roland Stadler, Sprecher des Netzwerkes „Pilgern in Österreich“. Denn es liegt auf den großen Routen nach Santiago de Compostela, Rom oder Jerusalem.

„Viele Menschen brechen mit den unterschiedlichsten Motiven auf“, erzählt er, „die klassisch religiöse Motivation ist dabei eher rückläufig. Viele suchen eine ,Spiritualität des Weges’ um sich selbst neu zu finden, um Gemeinschaft zu erleben, um andere Kulturen besser zu verstehen. Freilich machen viele dabei auch in gewisser Weise neu eine ,Erfahrung Gottes’, eine Erfahrung vom tieferen Verstehen des Lebens, vom ,Urgrund des Seins’.“

 

Das Pilgern vor der Haustüre hat gerade in der letzten Zeit viel Zuspruch erhalten. Denn die Pandemie hatte freilich ihre Auswirkungen auf grenzüberschreitende Fußmärsche. Vielfach war es schwieriger unterwegs zu sein, Beherbergungsbetriebe waren teils geschlossen oder aber überbucht. Pilgern kann man übrigens auf viele Arten, das reicht vom philosophischen oder alpinen Pilgern bis hin zum Abenteuer-, Lama- oder Kräuter-Pilgern.

Pilgern lässt sich auch gut in Gemeinschaft – und mit professioneller Begleitung. Geistliche übernehmen diese Funktion bereits seit vielen Jahrhunderten. Aber es gibt auch eine für alle offene Ausbildung zur zertifizierten Pilgerbegleitung. Sie besteht seit 2004 und wurde im Zuge der Wiederbelebung des Pilgerweges Via Nova, der vom deutschen Regensburg ins salzburgerische St. Wolfgang führt, entwickelt.

Pilgerbegleitung

Angeboten wird die Ausbildung von Diözesen, Bildungshäusern oder kirchlichen Einrichtungen quer durch Österreich. „In der Steiermark wurde die kirchliche Begleitung der Pilger neu geordnet und ist nun in der Diözesansportgemeinschaft verortet. Dort wird gerade an der Neuaufstellung gearbeitet“, sagt Stadler. Die Teilnehmer werden dafür in mehreren Modulen in verschiedenen Bereichen geschult. „Es geht um spirituelle Kenntnisse über Wurzeln des Pilgerns in unterschiedlichen Religionen, das Feiern von Andachten und die Gestaltung von Kirchenführungen. Aber auch soziale Kompetenzen für das Leiten von Gruppen und die adäquate Reaktion in Notfällen sowie technisches Know-how für die Tourenplanung, den Umgang mit Karten und GPS stehen auf dem Programm“, erklärt.

„Es geht nicht allein um Religionsvermittlung“, sagt Christine Dittlbacher, die in der Diözese Linz Ausbildungsleiterin für Pilgerbegleiter ist, „sondern darum, in einen Prozess des Staunens, der Schöpfungsachtung, der Tuchfühlung mit der Natur bis in den kleinsten Tautropfen, zu jeder Jahreszeit und jeder Witterung zu kommen. Es sind die Erfahrungen, die auf dem Weg liegen, die das Pilgern ausmachen.“ In Österreich gibt es mehr als 500 zertifizierte Pilgerbegleiter, sie sind ehrenamtlich in Pfarren im Einsatz oder haben etwa als Wander- oder Fremdenführer eine Zusatzqualifikation erworben. Im EU-Projekt Train2eupilgrimage wurde gerade ein neues, grenzüberschreitendes Curriculum für Pilgerbegleiter erarbeitet. In Pilgerländern wie Spanien und Italien gab es bislang nämlich noch keine derartige Ausbildung. „Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt in besonderer Weise auf Pilgern mit älteren Menschen und Menschen mit Beeinträchtigung“, erklärt Stadler.

 

Neue Wege

Aber auch in Sachen Pilgerwege tut sich etwas: Beim Europarat wurde unlängst die „Via Romea Strata“ als Kulturstraße eingereicht. „Dieses Projekt will alte Pilgerwege und Straßen von den Baltischen Staaten nach Rom wieder beleben, den Reichtum der Kulturen deutlich machen und sie miteinander verbinden“, sagt Stadler. Über Estland, Lettland, Litauen führt diese Route via Polen, Tschechien und Österreich nach Italien. „In der Steiermark verläuft der Weg dem Mariazeller Gründerweg entgegengesetzt von Mariazell nach Stift St. Lambrecht, wo er in den Hemmaweg übergeht und so nach Italien auf den Monte Lussari führt.“ Möglichkeiten, sich auf den Weg zu machen, gibt es also viele. Und: Es muss nicht immer eine lange Wegstrecke sein, die Kraft das Gehens spürt man auch auf kürzeren Etappen. Nicht umsonst heißt es stets: Der Weg ist das Ziel.

Informationen:

www.pilgerwege.at

 

 

Der Mariazellerweg

Knapp eine Million Wallfahrer pilgern Jahr für Jahr nach Mariazell. Das Ziel: die Magna Mater Austriae. Bereits seit mehr als 800 Jahren führen viele Pilgerwege dorthin. Größere Pilgerzahlen sind ab dem Jahr 1330 urkundlich belegt. Einst wurden von weltlichen Gerichten als Sühne für Verbrechen sogenannte „Zellfahrten“ verhängt. Für die Habsburger wurde der Wallfahrtsort nach der Gegenreformation zum Nationalheiligtum. Das Wallfahrerwegenetz setzt sich aus mehreren traditionellen Wallfahrerwegen wie der Via Sacra zusammen und umfasst etwa 1.300 Kilometer. Es verbindet die Landeshauptstädte Wien, St. Pölten, Eisenstadt, Salzburg, Linz, Klagenfurt und Graz mit Mariazell. In Eibiswald treffen der Kärntner und der Steirische Mariazellerweg aufeinander und verlaufen von da an gemeinsam über Graz, die Oststeiermark und die Hochsteiermark bis nach Mariazell.

 

Der Jakobsweg

Der Jakobsweg ist wohl der berühmteste Pilgerweg Europas. Seit dem 11. Jahrhundert besuchen Pilger aus aller Welt das angebliche Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Der Legende nach ließ König Herodes Jakobus 44 nach Christus enthaupten. Auch in Österreich gibt es ein umfangreiches Netz an Jakobswegen. 2010 wurde der weststeirische Jakobsweg eröffnet. Der Hauptweg startet bei der Jakobskirche in Thal bei Graz. Von dort aus führt die Route über St. Pankrazen bis zur Jakobskirche in Geistthal. Alternativ zum Hauptweg kann man die Abtei in Seckau als Ausgangspunkt wählen. Auf acht Tagesetappen geht es durch die Lipizzanerheimat und das Schilcherland bis nach Lavamünd in Kärnten. Dort trifft der weststeirische Jakobsweg auf den Abschnitt, der aus Slowenien kommt.

Der Hemmaweg

Zu Ehren der heiligen Hemma führt ein Pilgerweg in sieben Etappen vom Stift Admont ins kärntnerische Gurk. Der Weg kann auf acht Routen aus allen Himmelsrichtungen begangen werden. Wer in der Steiermark startet, hat die Wahl zwischen der Hauptroute von Admont über das Stift Lambrecht oder von St. Hemma bei Edelschrott nach Gurk. Als ein Höhepunkt gilt die Überschreitung der Niederen Tauern über das Glattjoch mit dem Etappenpunkt Oberwölz, der kleinsten Stadt der Steiermark. Entstanden ist der Hemma Pilgerweg aus der sogenannten Krainer Wallfahrt: Ausgehend von Krain in Slowenien zog es Pilger nach Gurk zum Grab der heiligen Hemma, erstmals bereits 1607. Die zwischen 995 und 1000 geborene Gräfin von Friesach-Zeltschach hat mit dem Stift Gurk und dem Stift Admont gleich zwei Benediktinerklöster gegründet. Sie war bekannt für ihre Wohltätigkeit.

 

Der Benediktweg

Die Benediktiner gehören zu den ältesten Ordensgemeinschaften der katholischen Kirche. Ordensgründer war Benedikt von Nursia. Geschaffen wurde der Benediktweg 2009, anlässlich der 200-Jahr-Feier der Wiederbesiedlung des Stiftes St. Paul im Lavanttal. Insgesamt führt der Benediktweg auf elf Tagesetappen von Spital am Pyhrn über Admont, Seckau, Maria Buch, Wolfsberg, St. Paul und Slovenj Gradec bis ins slowenische Gornij Grad. Auf dem Abschnitt in der Steiermark wandert man von Stift zu Stift –  von Admont über Seckau bis nach St. Paul in Kärnten. Zu den landschaftlichen Höhepunkten gehören der Nationalpark Gesäuse und und die Niederen Tauern.

 

von Elke Jauk-Offner
© Steiermark Tourismus/ Leo Himsl, Sarah Valda, Harry Schiffer, Marcel J. Peda, Tom Lamm
Beitrag veröffentlicht am 01. September 2022