Stricken hat viele Vorteile – es entspannt, ist nachweislich gut für die mentale und körperliche Gesundheit, an keinen Ort gebunden und stärkt das Selbstvertrauen. Und es hat eine jahrtausendealte spannende Tradition!
Die Geschichte des Strickens
Über den genauen Entstehungszeitraum des Strickens ist sich die Wissenschaft nicht einig. Manche vermuten, dass man bereits um 4000 v. Chr. im asiatischen Bereich begann, mit Nadeln Wollsocken anzufertigen, andere sind der Meinung, dass die alten Griechen und Römer das Stricken erfanden. Tatsächlich sind aus der Zeit um 300 v. Chr. strickartige Fragmente aus Wolle erhalten. Es gibt jedoch noch andere Theorien: Laut Archäolog:innen fertigten im 3. bis 5. Jahrhundert die Kopten, eine in Ägypten ansässige religiöse Gemeinschaft, gestrickte Wollsocken an. Auch in der Zeit des Frühmittelalters sehen viele Expter:innen den Beginn des Strickens. Heute wissen wir: All diese ganz frühen Fundstücke lassen sich vermutlich eher der Technik des Nadelbindens – sozusagen eine Vorform des Strickens – zuordnen.
Eine genaue Einordnung der frühen Entstehung des Strickens scheitert also an mangelnden und vor allem einwandfrei zuordenbaren Artefakten. Als wirklich gesichert gilt jedoch, dass das Stricken um 1270 als gewerbliches Handwerk in Europa betrieben wurde – 1268 wird zum ersten Mal das gewerbliche Stricken in Paris in Form der Gilde der Pariser Stricker erwähnt. Ab dem 14. Jahrhundert gibt es immer mehr Belege von Handwerkerzünften in ganz Europa. Spätestens aus der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts sind dann auch eindeutige Funde von Gestricktem aus dem gesamten europäischen Raum erhalten.
In den Kriegen im 19. und 20. Jahrhundert strickten vor allem die zuhause gebliebenen Frauen wärmende Kleidung und verdienten sich damit einen Lebensunterhalt. Mit der zunehmenden Industrialisierung wurde das Stricken schließlich von Maschinen übernommen – und die Handarbeit geriet in den Hintergrund. Seit einigen Jahren jedoch erlebt das Stricken als Hobby eine Wiedergeburt: Gerade in Zeiten von Massenproduktion und Schnelllebigkeit etabliert sich die Handwerkskunst als Instrument der individuellen Selbstverwirklichung und Distanzierung zur Vereinheitlichung der Masse.
Auf zur Nadel, fertig los…
Es gibt zahllose Gründe, warum Stricken ein tolles Hobby ist und wieder voll im Trend liegt.
Entspannung
Stricken hilft dabei, sich zu entspannen, da die gesamte Aufmerksamkeit auf eine Tätigkeit gerichtet ist. Die immer gleichbleibenden Bewegungen haben etwas Meditatives an sich. Verschiedene Studien belegen, dass Stricken ähnlich erholsam wie Meditation oder Yoga ist. Das Harvard Medical Institut etwa fand vor einigen Jahren heraus, dass Stricken zu einem „vollkommenen Entspannungszustand“ führt.
Gesundheit
Da Gedanken nicht mehr um Ängste und Probleme kreisen können, versetzt die Tätigkeit des Strickens den Körper in einen gesunden Ruhezustand aus dem zahlreiche Vorteile für die mentale und physische Gesundheit resultieren.
Gerade in stressigen oder belastenden Zeiten kann Stricken den Blutdruck und Puls signifikant senken und beugt somit beispielsweise Herzerkrankungen vor.
Eine Studie der Washington Post zeigt, dass 81% der Betroffenen nach dem Stricken glücklicher waren als vorher. Beim Stricken wird das Gehirn stimuliert, beruhigendes Serotonin ausgeschüttet und Indikatoren von Angstzuständen oder einer Depression können gelindert werden.
Stricken trainiert das Gehirn indem es beide Hirnhälften beansprucht, außerdem werden Konzentrationsfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit gestärkt. In den USA fand man heraus, dass regelmäßiges Stricken und Häkeln über Jahre hinweg das Risiko, mit (Alzheimer-)Demenz konfrontiert zu werden, mindert.
Selbstvertrauen
Stricken bietet die Möglichkeit, individuell zu gestalten und der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen. In der Wahl der verschiedensten Farben, Wollstärken, Strickmuster und Design ist man frei. Ob Hauben, Handschuhe, Socken, Pullover oder Accessoires – auch hierbei sind keine Grenzen gesetzt. Der Aspekt der individuellen Selbstverwirklichung ist ein wichtiger, auch der Prozess, auf ein Ziel hinzuarbeiten und danach das fertige Ergebnis in den Händen zu halten, macht stolz und stärkt das Selbstbewusstsein.
Gemeinschaft
Stricken führt Gleichgesinnte zusammen und stärkt die Gemeinschaft. Es gibt Foren und Plattformen, um sich mit Strickkolleg:innen auszutauschen, auch in Strickkursen trifft man verschiedenste Menschen, die alle ein gemeinsames Hobby teilen. Es macht Spaß, sich auszutauschen und von anderen dazuzulernen.
Eine besondere Möglichkeit, die Gemeinschaft zu leben, sind sogenannte “Strickpartys”. Es gibt Stoff- und Wolläden, die Räumlichkeiten für solche Events zur Verfügung stellen oder wöchentliche Treffen anbieten.
Handgemachte Geschenke erfreuen außerdem Freund:innen und Familie. Wer sich die Mühe macht, mit Zeit und Aufwand selbst ein besonderes Geschenk zu stricken, kann den Beschenkten ganz individuell Freude machen.
Niederschwellig
Ein großer Vorteil des Strickens ist, dass es weder an einen Ort noch an einen bestimmten zeitlichen Rahmen gebunden ist. 2 Nadeln und ein Wollknäuel reichen – und schon kann man überall und immer loslegen. Ob abends vor dem Fernseher, im Wartezimmer beim Arzt oder schnell in den Öffis – Stricken ist unkompliziert und vor allem relativ kostengünstig möglich.
Beitrag veröffentlicht am 27. Oktober 2022
von Karolina Wiener
Salz – Steirische Alzheimerhilfe ist ein Angehörigen-Verein. Wir vertreten deren Interessen und Anliegen aber wir geben auch Raum, damit Angehörige sich treffen und austauschen können. Es ist wichtig, in einem geschützten und anonymen Umfeld über die Trauer, die Frustration und über die Wut der Krankheit gegenüber sprechen zu können. Die eigene Ratlosigkeit zu thematisieren und gleichzeitig Tipps und Rat im Umgang mit Demenz zu bekommen hilft, Ressourcen zu erkennen und Hoffnung zu schöpfen.
Wir engagieren uns überdies in Projekten oder initiieren selbst welche, die dazu führen, dass das Leben mit Demenz leichter wird. Außerdem glauben wir, dass nur eine gute Vernetzung von Professionisten in der Region eine gute Versorgung gewährleisten kann und wir investieren in dieses Ziel viel Zeit.
Warum ist Ihnen das Thema Demenz so ein wichtiges Anliegen?
Wir von Salz sind oder waren Angehörige und wissen, wie belastend die Diagnose für die gesamte Familie ist. Wir wollen unsere Erfahrung weitergeben und helfen. Die Krankheit ist noch immer stark stigmatisiert und tabuisiert und zu lange werden Angehörige sowie Betroffene alleine gelassen. Das wollen wir ändern und dafür setzen wir uns ein.
Worum geht es beim Tag der Demenz, den Sie heuer veranstalten?
Heuer dreht sich der Lange Tag der Demenz um das Thema Zeit. In unserer sehr effizienten und geschwindigkeitsorientierten Welt bleiben viele zurück, die mehr Zeit brauchen würden. Die zunehmende Automatisierung, wie Selbstbedienungskassen, Fahrscheinautomaten, elektronisches Bankensystem, machen die Teilhabe von Menschen mit Demenz immer schwieriger. Daher stellen wir uns dieses Mal die Frage: „Wieviel Zeit braucht ein Mensch mit kognitiven Einschränkungen und was bedeutet das in unser aller Alltag?
In den drei Tagen vom 21.9. – 23.9. werden wir zu diesem Thema einen Gottesdienst feiern, einen Film sehen, öffentlich diskutieren, am Markt informieren und künstlerische Akzente setzen. Dazu sind alle Menschen geladen, die sich für das Thema, ob aus aktuellem Anlass oder präventiv, interessieren und sich mit Menschen mit Demenz und deren Familien solidarisieren möchten.
Was erwarten Sie sich von öffentlichen Stellen zum Thema Demenz?
Zurzeit gibt es viele engagierte Initiativen in diesem Bereich. Eine Zusammenführung dieses Wissens zumal in einer Form, die für Betroffene und Angehörige praktikabel ist, sowie eine Vernetzung der damit verbundenen Akteur/innen wäre wünschenswert. Außerdem ist nach wie vor unsere dringlichste Forderung nach individueller, flexibler Alltagsassistenz als Unterstützung für Betroffene im leichten Stadium und in weiterer Folge zur Entlastung der betreuenden Angehörigen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf die Aufmerksamkeit und öffentliche Wahrnehmung des Themas Demenz?
Eine Sensibilisierung in Wort und Bild. Das Bild des alten Menschen muss generell ein differenzierteres werden. Dem Menschen muss seine Individualität und Würde bewahrt werden und er darf nicht hinter Statistiken oder Klischees verschwinden. Menschen mit kognitiven Einschränkungen sollen nicht zu einer anonymen Masse werden, über die man hauptsächlich defizitorientiert spricht. So unterschiedlich wie wir Menschen nun einmal sind, ist auch die Ausprägung des Verhaltens bei Demenz. Es gibt erstaunlich kreative und erfolgreiche Ansätze, mit diesem Schicksalsschlag fertig zu werden. Genauso verhält es ich bei uns Angehörigen. Natürlich ist die Betreuung oft sehr herausfordernd, aber auch hier sind Familien sehr einfallsreich, wenn es um einen guten Umgang mit dem betroffenen Menschen und mit der eigenen Selbstfürsorge geht. Darüber würde ich gerne mehr lesen, sehen oder hören.
Alles über die weltweit erste große und erfolgreiche Humanstudie zum Thema Spermidin
Die Studie wurde vom Studiengang Biomedizinische Analytik an der FH Wr. Neustadt unter der Leitung von Dr. Thomas Pekar, MA und auf Initiative von Univ. Prof. Dr. med. Reinhart Jarisch vom Floridsdorfer Allergiezentrum (FAZ) in Wien durchgeführt.
Gegenstand der Studie ist der Einfluss von Spermidin auf die Gedächtnisleistung und die kognitiven Fähigkeiten der Probandinnen und Probanden.
Ort: Steiermark, in 5 Seniorenheimen der steirischen GEPFLEGT WOHNEN Gruppe. Testpersonen: 85 Seniorinnen und Senioren (Durchschnittsalter 83,1 Jahre) mit leichter oder mittelschwerer Demenz. Dauer: 3 Monate.
Ein Teil der ProbandInnen bekam Gebäck mit verschieden hohem Spermidingehalt zum Frühstück.
Gruppe A: Kornbrötchen mit Weizenkeimzusatz (Weizenkeime sind das Nahrungsmittel mit dem höchsten Spermidingehalt: 24,3 mg/100g).
Spermidingehalt der Kornbrötchen: 3,3 mg.
Steigerung der täglichen Spermidinzufuhr um 35%
Gruppe B: Kornbrötchen mit Weizenkleiezusatz.
Spermidingehalt der Kornbrötchen: 1,9 mg.
Steigerung der täglichen Spermidinzufuhr um 20%
Zur Placebokontrolle bekam eine Kontrollgruppe klassisches Brot und Semmeln ohne zugeführtem Spermidin zu essen.
Anhand des „CERAD-Plus-Test“ wurden im Laufe der Studie verschiedenste kognitive Fähigkeiten der ProbandInnen getestet. Insgesamt wurden den Testpersonen außerdem viermal Blut abgenommmen, um die Spermidinkonzentration im Blut zu bestimmen.
Anhand der Studie ist zu erkennen, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Spermidinkonzentration im Blut und der Gedächtnisleistung der ProbandInnen gibt. Bereits nach einem Monat war eine Plateaubildung bei Gruppe A mit höherer Spermidinzufuhr zu erkennen, während die Werte bei Gruppe B gleichblieben.
Ergebnis
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass es nach 3 Monaten bei den ProbandInnen mit erhöhter Spermidin-Konzentration im Blut zu verbesserten kognitiven Gedächtnisleistungen im vergleich zur Placebo-Gruppe kam.
Bei 42% der spermidinreich Frühstückenden kam es zu signifikanten Verbesserungen der Gedächtnisleistungen.
Bei 28% der spermidinreich Frühstückenden blieb die Gedächtnisleistung gleich.
Bei 30% der spermidinreich Frühstückenden kam es durch natürliche Umstände und fortschreitende Demenz zu Verschlechterungen der Gedächtnisleistung.
Generell gilt, dass eine stetige Verschlechterung der Gedächtnisleistung zum normalen Krankheitsverlauf von Demenz gehört, weshalb ein Gleichbleiben der kognitiven Fähigkeiten bzw. sogar eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten als großer Erfolg gewertet werden darf.
Demenz ist eine Krankheit, über die viel mehr gesprochen werden sollte, sagen Claudia Knopper von der Selbsthilfegruppe Alzheimer (Salz), Heidi Fackler, Fachbereichsleiterin Hilfe und Pflege daheim im Hilfswerk und der Diplomkrankenpfleger Jürgen Gabler. Ein Gespräch über die Krankheit mit den vielen Gesichtern.
Demenz ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern.Was bedeutet Demenz für Sie?
Claudia Knopper: Ich werde nie vergessen, wie ein Arzt zu uns gesagt hat (Knoppers Vater hatte Demenz, Anm.): „Wenigstens hat er keine Schmerzen.“ Daran denke ich oft, speziell, als eine Freundin ihre Mutter unter Schmerzen an Krebs verloren hat. Wenn man lernt, mit Demenz umzugehen, die eigene Trauer wahrzunehmen, und wenn man Werkzeuge findet, wie man die Betreuung managt, verliert Demenz an Schrecken.
Heidi Fackler: Durch die Brille der Mobilen Dienste zeigt sich für mich Demenz als Krankheit, bei der man unterstützt, damit die Patienten so lange wie möglich daheimbleiben und selbstständig leben können. Das ist mit einem funktionierenden Angehörigennetz recht lange möglich. Das braucht aber Struktur, damit sich die demenzkranke Person zurechtfinden kann. Man muss sich mit der Krankheit auseinandersetzen, das ist das oberste Ziel.
Jürgen Gabler: Vom Beruf des Krankenpflegers bedeutet Demenz für mich, die Patienten mit ihrer Krankheit so anzunehmen, wie sie sind, mit allen Verlusten, Defiziten und Leiden. Unsere Gesellschaft neigt vielleicht dazu, die Augen vor Krankheit und Leid zu verschließen, wir möchten mehr das Gute, Gesunde und Schöne sehen. In der Arbeit mit Menschen mit Demenz lerne ich auch mich selbst besser kennen, meine Grenzen wahrzunehmen und lerne von dem vergangenen Leben der PatientInnen, wenn sie ihre Erlebnisse erzählen. Demenz kann aber auch Positives hervorbringen: Man kann seine eigenen Stärken und Talente immer wieder gut einbringen. Man wird vielleicht auch dankbarer, dass man gesund ist.
Was macht die Krankheit mit den Angehörigen?
Knopper: Die Krankheit ist individuell. Oft darf das Wort „Alzheimer“ nicht einmal in den Mund genommen werden, das muss man respektieren. Es braucht auch richtiges Handeln: Viele fangen an, über den anwesenden Betroffenen in der dritten Person zu sprechen, als würde er nichts mitbekommen. Das geht gar nicht! Wenn der Betroffene etwas „anstellt“, hilft keine Standpauke, im Gegenteil: Das erhöht nur den Stresspegel und er hat weniger Kapazitäten frei, um sich zu koordinieren. Ein Beispiel: Wenn eine Orange am Tisch steht, der Patient sagt: „Gib mir den Apfel“, ist es nicht zielführend, ihn über den „Irrtum“ aufzuklären. Besser wäre, ihm die Orange zu geben und zu sagen: „Da ist die Orange.“
Fackler: Wir als Mobiler Dienst schauen uns die Haushalte mitsamt dem Netzwerk an: Sind Angehörige oder Nachbarn involviert, wie schaut es mit der Körperpflege aus, wer bereitet die Mahlzeiten zu? Wie kann man unterstützen, braucht es Essen auf Rädern? Wir schauen uns die Tagesgestaltung an und binden andere Berufsgruppen ein.
Wann ist die Betreuung daheim nicht mehr möglich?
Fackler: Das hängt vom Stadium der Krankheit ab und davon, ob es Angehörige gibt, die betreuen. Wir haben in der Mobilen Pflege Kunden mit hochgradiger Demenz, die einen strukturierten Tagesablauf und pflegende Angehörige haben, die lange daheim bleiben konnten. Es braucht eine gute Vernetzung mit dem Hausarzt und Aktivierungsmaßnahmen, etwa Motoriktraining, Gedächtnisübungen, gemeinsames Singen, Rätsellösen.Wir schauen, was davon in Gemeinden und in der Umgebung angeboten wird und wie es genutzt werden kann und helfen, einen Tagesablauf zu planen, der für die Person passt. Dazu braucht es Empathie und Vertrauen, damit der Demenzkranke das auch annimmt. Immerhin kommt dann ja täglich eine fremde Person ins Haus.
Knopper: 80 Prozent aller Demenzkranken werden von Angehörigen gepflegt. Das ist kostenintensiv. Wie momentan die Tagessätze in den Tagesbetreuungsstätten in Graz bei einer Pension von 2.500 Euro sind, gehen wir rein rechnerisch von 3.500 Euro aus. Es gibt leider kein 5-Tages-Betreuungsangebot. Wenn man nur an zehn Tagen für je vier Stunden eine Alltagsbetreuung braucht, sind das im Monat 400 Euro. Dazu kommt oft eine Putzfrau, Essen auf Rädern, Medikamente, Inkontinenzprodukte und so weiter. Die Öffentliche Hand zahlt aber nur das Pflegegeld. Es gibt kaum Konzepte, die helfen, dass der Verbleib im häuslichen Bereich ohne die Betreuung durch Angehörige möglich ist. Die Verantwortlichen verlassen sich schon darauf, dass Angehörige pflegen. Wir brauchen mehr Angebote für stundenweise Betreuung zu einem Preis, den man sich leisten kann.
Gabler: Die stationäre Langzeitpflege gerade im Demenzbereich ist unbedingt notwendig. Es ist oft nicht möglich, auch wenn man möchte, seine Angehörigen zu Hause weiterhin zu versorgen. Psychische und verhaltensbezogene Symptome wie Apathie, Aggression, Wandern, Unruhe, Essstörung, Agitation machen es oft nicht möglich zu Hause zu betreuen. Auch weil zu Hause oft keiner mehr da ist, der diesen oft Full-time-Job übernehmen kann.
Knopper: Mobile Dienste mit Alltagsbetreuung ist schon ein guter Schritt, nur ist das derweil noch an einen Anbieter gekoppelt, das heißt, niemand anderer darf dazu Dienste anbieten. Das ist eine Fehlentwicklung. Politisch ist da einiges falsch gelaufen. Die Tagessätze in der Tagesbetreuung wurden zudem empfindlich erhöht, es gibt gerade eine Tendenz Richtung Unterbringung im Pflegeheim. Wir reden immer von Menschen im mittleren und schweren Stadium, aber die im leichten ignorieren wir komplett, für die gibt es kein Angebot, keine Beratungen. Viele können lange Zeit für sich sprechen, brauchen aber persönliche Assistenzen, etwa um von A nach B zu kommen.
Wie werden sich die Krankheitszahlen entwickeln?
Knopper: Wir haben heute 130.000 bis 150.000 Demenzkranke in Österreich – das ist aber nur die Dunkelziffer -, bis 2050 wird sich die Zahl verdoppeln. 2000 kam auf 60 Erwerbstätige ein Demenzkranker, 2050 wird ein Demenzkranker auf 15 Erwerbstätige fallen.
Gabler: Die Menschen werden heute, dank der verbesserten medizinischen Versorgung, immer älter. Damit steigt aber leider auch die Anzahl derjenigen, welche an einer Demenz erkranken. Man weiß auch, dass in naher Zukunft die Babyboomer in ein Alter kommen, in dem sie Pflege und Betreuung benötigen werden. Es wird bei aller Voraussicht schwierig werden, ausreichend gut qualifizierte Pflegepersonen zu bekommen.
Heidi Fackler, Jürgen Gabler & Claudia Knopper (v.l.n.r.)
Das sind ja düstere Aussichten. Wer pflegt aktuell?
Fackler: Nur sechs Prozent aller Pflegegeldbezieher haben eine 24-Stunden-Betreuung, 38 Prozent werden von Angehörigen gepflegt und betreut, 33 Prozent von Mobilen Diensten, 21 Prozent sind in einer stationären Einrichtung.
Gabler: Bevor die Patientinnen und Patienten zu uns in die GGZ kommen, werden sie in der Regel schon lange zu Hause betreut. Die Pflegeheime und Krankenhäuser könnten unmöglich alle pflegeabhängigen Menschen versorgen. Ich finde man sollte den Angehörigen mehr Dankbarkeit entgegenbringen und es nicht als Selbstverständlichkeit abtun.
Knopper: Ein Ortswechsel ist für den Betroffenen immer ein Schock, den man vermeiden sollte. Ich habe einen Fall, wo die Tochter mit 50 Jahren an Demenz erkrankt ist und die Mutter mit 82 die Betreuung übernimmt. Hier wird sich die Frage stellen, wie lange sie das noch schafft. Oft stehen Männer an, weil der Haushalt immer von der Frau geführt wurde und sie beispielsweise erst das Kochen erlernen müssen. Oder Frauen, die ihre erkrankten Männer nicht aufheben können. Hier fehlt es an Kreativpotenzial, das müsste man anders lösen können.
Wie könnte das aussehen?
Knopper: Man muss den Markt aufmachen. Wir reden immer über Pflege, dabei braucht es oftmals nur eine Betreuung. Es braucht mehr Kooperationen und Zusammenarbeit. Helfen würden ein Bezugsbetreuer, der den Überblick über die Situation behält und bei Bedarf die erforderlichen Interventionen setzt, ein Behandlungsplan, in den alle eingebunden sind, und vor allem Ärzte, die die Betroffenen nichtmit dem Rat „gehen’s noch ein bisserl garteln“ heimschicken. Es bräuchte jemanden, der mit dem Haushalt Kontakt hält, der sich in bestimmten Intervallen die Situation ansieht und benötigte Dienste ins Haus bringt sowie die geistige Fitness überprüft. Aktuell sind Betroffene auf sich gestellt.
Gabler: Man muss die Angehörigen lange vor der Heim-
unterbringung erreichen und ihnen zur Seite stehen. Sie brauchen zum einen ein inhaltlich-fachliches Know-how über die Erkrankung selbst, deren Verlauf, über geeignete Hilfsangebote und auch sehr wichtig über die eigene Selbstfürsorge. Zum anderen benötigen sie praktische Tipps, wie man mit Beschuldigungen der Patienten umgeht oder wie sie es schaffen, dass ihr Angehöriger sich einfach wäscht und anzieht, obwohl er es nicht will. Wir sprechen hier in den GGZ von der „abgestuften Demenzversorgung“, beginnend mit der Diagnose bis hin zur vollständigen stationären Aufnahme.
Knopper: Mehr Öffentlichkeit und Bewusstsein braucht es auf jeden Fall, denn die Betroffenen wollen ja auch einkaufen gehen und Eis essen. Und ja, sie machen schräge Dinge. Meine Vision wäre, dass Menschen mehr über die Krankheit wüssten, um die Betroffenen und die Angehörigen besser unterstützen zu können. Die Kassiererin im Supermarkt muss wissen, wie sie richtig reagiert, wenn ein demenzkranker Mensch vor der Kasse die Ware vom Fließband wieder in den Wagen zurücklegt, die Polizei muss wissen, wie sie mit einem Betroffenen umgeht, der vom Heim ausgebüchst ist. Wenn die sagen: „Polizei! Kommen Sie mit!“, wird das nicht funktionieren.
Wie merkt man beginnende Demenz?
Knopper: Das Vergessen ist es jedenfalls nicht. Es sind eher Verhaltensauffälligkeiten oder wenn der Betroffene komplett uneinsichtig ist. Die meisten merken es, wenn Dinge passieren, die man nicht einordnen kann, wenn die Handlungen irrational werden.
Fackler: Oft beginnen Betroffene, ihre Angehörigen zu beschuldigen, etwas gestohlen zu haben, was man selbst verlegt hat.
Gabler: Was nichts anderes heißt als: Mir fehlt etwas, vielleicht braucht der Erkrankte gar nicht unbedingt und sofort das längst verlorene Geldbörserl oder den Schlüssel von früher, sondern etwas ganz anderes wie Zuwendung und jemanden, der ihm zuhört und ihn so annimmt wie er jetzt ist. In diesem Moment braucht es eine einfühlsame Kommunikation und keinen Gegenangriff.
Fackler: Angehörige haben oft Wissenslücken, obwohl so viel zum Thema angeboten wird. Ich habe den Eindruck, dass sich die meisten erst mit Demenz beschäftigen, wenn es aktuell ist.
Gabler: Zu unserer Angehörigenschulung in das Albert Schweitzer Trainingszentrum kommen immer mehr junge Menschen, die sich informieren wollen, was zu tun ist, weil die Oma oder der Nachbar in letzter Zeit „so anders“ ist. In den Schulungen zeigt sich auch, wie stark belastet Angehörige sind. Viele Herausforderungen in der Pflegepraxis lassen sich durch konkrete Tipps von uns Vortragenden und von den anderen Angehörigen gut lösen.
Knopper: Es braucht ein Demenzteam, ähnlich dem Palliativteam, bei dem man anrufen kann, wenn man Hilfe braucht. Was ist, wenn mit der pflegenden Person etwas passiert? Früher hat es dafür Gemeindekrankenschwestern gegeben, die sind ja zum Glück wieder im Gespräch. Es braucht unbedingt eine rasche Unterstützung bei der Betreuung und Pflege.
Welche Forderungen hätten Sie?
Knopper: Es braucht gut ausgebildete Ärzte und Pflegepersonal, Hausärzte, die einem Behandlungsplan bei Verdacht auf eine dementielle Erkrankung folgen. Es braucht Behandlungspläne ab der Diagnose: Wie geht es weiter, welche Institutionen können helfen und wie? Es braucht stundenweise Betreuung in Form von persönlicher Assistenz mit Bezug zur Familie, den der Betroffene noch selbst anfordern kann. Und es braucht eine getrennte Betrachtung von Betreuung und Pflege.
Fackler: Es braucht mehr finanzierbare Dienstleistungen für Menschen mit Demenz, die daheim bleiben wollen. Die Hauskrankenpflege alleine reicht manchmal nicht aus, um demenzkranke Menschen zu Hause umfassend betreuen zu können.
Gabler: Ich bin skeptisch, dass wir die kommenden Herausforderungen im Gesundheitssystem gut stemmen werden können. Es braucht einen Wandel im miteinander. Wir Menschen müssen wieder mehr aufeinander zugehen und gemeinschaftlich versuchen, die Herausforderung Demenz und Pflege zu lösen. Bezahlung von Angehörigen könnte ein guter Punkt sein, Pflegepersonen aus dem Ausland sind glaube ich unerlässlich, wobei auf die Ausbildung viel Wert gelegt werden sollte. Aber ich denke, es wird sehr schwierig werden.
Wollen wir dieses Thema etwas heiterer beenden.Was bedeutet Humor in der Zusammenarbeit mitDemenzkranken?
Gabler: In den zehn Jahren, die ich auf unserer Memory Klinik arbeite, habe ich viele humorvolle Geschichten erlebt. Humor ist auch sehr individuell, auf jeden Fall macht es den Pflegealltag schöner und bunter, gerade wenn der Humor zur Freude erhoben wird.
Fackler: Humor macht’s im Alltag leichter. Aber das ist eine Sache des Gespürs. Mit Humor findet man leichter Zugang zu Menschen.
Knopper: Humor holt oftmals Druck aus der Situation. Wenn ich meinem Gegenüber mit einem breiten Lächeln begegne, lacht es zurück.
Demenz – so sieht es aus
In den kommenden Jahren wird sich laut Weltgesundheitsorganisation WHO die Zahl der Demenzkranken deutlich erhöhen, bis 2030 von derzeit 50 auf bis zu 82 Millionen, bis 2050 mit weltweit 152 Millionen Betroffenen. Vor dem 65. Lebensjahr sind nur wenige Menschen betroffen, unter den 85- bis 89-Jährigen leidet rund jeder Vierte an Demenz.
Was die WHO empfiehlt
Wer sich mehr bewegt und mit dem Rauchen aufhört, kann auch einer Demenz-Erkrankung vorbeugen, heißt es seitens der WHO. Übergewicht, Diabetes und Blut-
hochdruck erhöhen ebenfalls das Demenz-Risiko. Empfohlen wird ein aktiver Lebensstil, verbunden mit der Erhaltung der geistigen Fitness. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass körperlich aktive Menschen seltener an Demenz oder Alzheimer erkranken.
Hier gibt’s Informationenund Beratung
Einen breiten Überblick über das Thema Demenz bietet das Demenzportal: von Warnsymptomen, Prävention, Risikofaktoren, Früherkennung und Diagnose, Krankheitsverlauf, Behandlung, Forschung, über die Bewältigung des Alltags, Informationen für Angehörige bis hin zu den Themen Recht und Betreuung.
Für die Steiermark bietet die Selbsthilfegruppe Alzheimer (Salz) wertvolle Informationen und Beratungen. Auf der Homepage wird zudem auf Vorträge, Veranstaltungen und Sprechtage in Graz und anderen Städten in der Steiermark hingewiesen. Gegründet wurde der Verein „Salz – Steirisch Alzheimerhilfe“ von vier Frauen, darunter auch die im Talk vertretene Claudia Knopper, die aus eigener Erfahrung wissen, was es bedeutet, wenn ein Angehöriger an Demenz erkrankt und welche Hilfestellungen es braucht.
Rund 200 Mitglieder aus dem wissenschaftlichen Bereich sind in der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, die Grundlagenforschung und angewandte Forschung voranzutreiben, aber auch Betroffene und Angehörige zu informieren: