Der Tollkühnheit und dem Alter sind keine Grenzen gesetzt. Eine Geschichte über Männer, die mit fast 80 mit ihren Motorrädern noch steile Geröllhalden hochklettern und damit Luftsprünge machen.
Roland Kocher und Ortwin Bugl sind 78, Hubert Puchinger ist 75, Peter Zöhrer 74. Nennen wir sie die Enduro Boys aus dem Murtal, denn bei ihrem Hobby ist es von Vorteil, sich eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt zu haben. Die „Gang“ macht seit Mitte der 1970er-Jahre mit ihren Enduromotorrädern die Gegend unsicher.
Kocher, der Motorradhändler und -fan schon seit jungen Jahren, Bugl, der Spaßvogel und „Hinrichter“, dessen Moped sich beim legendären Enduroevent in der Rachau vom Steilhang ins Tal ganze elf Mal überschlagen hat, womit er in puncto Waghalsigkeit neue Standards setzte. Puchinger, der als Schneidermeister nicht nur die Ausrüstungen der Herren genäht, sondern sein Motorrad so umgebaut hat, dass er mit seiner kleineren Körpergröße den Kollegen in Sachen Können nichts schuldig bleibt. Und da gibt es Peter Zöhrer, den Ehrgeizigen, der seine erste eigene Enduro erst mit 33 gekauft und zwei Jahre später zwei Meisterschaften gewonnen hat.
„Sprünge von ein bis zwei Metern sind noch immer drin.“
Noch immer machen sie mit ihren Boliden die Gegend unsicher, zwei Mal im Jahr geht es in die Toskana, dort haben sie ihre Piste, deren Koordinaten sie streng geheim halten. Einschränkungen bei der Leistung im Vergleich zu den Anfängen gebe es keine, betont Roland Kocher. Sprünge von ein bis zwei Metern seien noch immer drin, die Geröllfelder, die sich steil über bis zu 40 Meter zögen, seien auch kein Problem. Sicherheitshalber hat Kocher die 46 auf seinem Motorrad picken, die Startnummer von „Dottore“ Valentino Rossi, dem Endurohelden der italienischen Nation, dessen Name auch noch so strengen Naturschützern ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
Wir treffen die Enduro Boys bei Roland Kocher, er hatte in Weißkirchen im Murtal eine Kfz-Werkstatt, die heute verpachtet ist. Was ihn aber nicht davon abhält, bei seinen Oldtimern herumzuschrauben – da wäre etwa ein Sunbeam, ein Auto Union 1000, mit dem er mehrfach die Ennstal Classic gefahren ist, und ein Wohnzimmer voller Motorräder. Der Motor läuft also, der Schmäh sowieso, Bugl frisiert für das Foto noch seine Brusthaare, die unter dem Hemd herauswachsen. „Geh zieh’ dir was G’scheits an, schaust ja aus wie ein Hendl“, ruft er Kocher zu, der für das Foto eine für dessen Geschmack zu schmächtig wirkende Jacke gewählt hat. Es fehlt nur noch Ekkehard Schipper, der früher KTM-Händler war. Ein Freund ist vor Jahren schon gestorben, er hatte in Italien während der Ausfahrt einen Schlaganfall, an dessen Folgen er einen Tag später verstorben ist. Begonnen hat die sportliche Freundschaft 1976 beim Six-Days-Rennen am Österreich-Ring, bei dem auch KTM-Gründer Hans Trunkenpolz und der Filmproduzent Dieter Pochlatko am Start waren.
Kocher und seine Kumpels waren bei Enduro-Treffen in Schweden, der Tschechoslowakei und sogar in den USA. Roland Kocher klärt auf, was Enduro überhaupt heißt, „auf Griechisch Ausdauer, Zuverlässigkeit“ – also durchaus altersunabhängig. Noch immer sind sie bei Veranstaltungen der Enduro Senioren Austria in Mühlen bei Neumarkt mit dabei. „Bei der Endurogeschichte ist halt noch immer Gemeinschaft und Freundschaft dabei, man hilft sich gegenseitig, nicht wie beim Motocross, wo man Ellbogen an Ellbogen fährt und sich abschießt und rausdrängt“, sagt Kocher. Zusammenhalt und Miteinander ist den Männern wichtig, ebenso Disziplin. In Zeiten, in denen die Motorräder oft an Lautstärke schwer zu überbieten sind, trachten sie danach, ihrem Hobby so zu frönen, dass weder Ohr, Tier oder Bauer zu Schaden kommen. Mit Grundbesitzern, Jägern und Förstern sei man immer gut ausgekommen, betont Kocher. Bugl ortet im Waldgelände auch einen gewissen Vorteil der Endurofahrer gegenüber den Mountainbikern: „Uns hören die Tiere wenigstens vorher.“ Was natürlich ironisch gemeint ist. Konkurrenz gab es bei den Rennen vor allem aus dem ehemaligen Ostdeutschland, dort hatte der Hersteller MZ gut trainierte Werksmannschaften. Die Boys im Murtal setzten auf den spanischen Hersteller Ossa, den es heute nicht mehr gibt. Eine Ossa schaffte es sogar, im Besitz aller vier Herren gewesen zu sein. Ortwin Bugl und Peter Zöhrer haben eine besondere Anekdote auf Lager, wie sie zu ihrer ersten Enduro gekommen sind. Zöhrer, der damals in Deutschland arbeitete, fuhr mit Sohn, Pkw und Anhänger ins Murtal, um für den Badumbau Dinge zu besorgen. Zurück in Deutschland war auf dem Anhänger statt der Badezimmerutensilien eine Enduro, die er daheim in der Steiermark nach einer Verfolgungsjagd erstanden hatte: Weil ihm ein Motorrad auf einem Anhänger so gefiel, fuhr er dem Pkw so lange nach, bis der bei einem Parcours stehenblieb, Zöhrer sich eine Probefahrt ausverhandelt und das gute Stück erworben hat.
Bugls Geschichte geht so: Er hat seine erste Ossa recht spontan von Kocher gekauft und vor dem Küchenfenster des gemeinsamen Hauses abgestellt. Seiner Frau, die schon immer einen bemalten Bauernkasten haben wollte, präsentierte er das Gefährt mit den Worten: „Schau, das ist ein Bauernkasten. Mit dem kann man sogar fahren.“ Einen Bauernkasten hat sie bis heute nicht, Bugl musste damals aber zugunsten des Endurosports mit seinem Hobby Autoslalom aufhören. Legendär sind auch seine Auftritte als Starter in der Rachau, mit schwarzem Hochzeitsanzug und hohem Zylinder, „damit bin ich weltweit berühmt geworden“, sagt er grinsend.
„Wenn es nicht ums Geld gegangen wäre, hätte ichnie aufgehört.“ – Peter Zöhrer
Ob die Gattinnen Hobby wie Abwesenheit ihrer Männer beklagten oder genossen, ist nicht überliefert. Stressig wurde es für die Männer – die damals überwiegend selbstständig waren -, wenn das Hobby mehr Zeit kostete, als Geld ins Haus kam. „Wenn es nicht ums Geld gegangen wäre, hätte ich nie aufgehört“, sagt etwa Fast-Profi Peter Zöhrer. Einmal in der Woche treffen sich die Enduro-Boys beim Stammtisch, allerdings mit dem Problem der nachlassenden Hörkraft, wie Kocher beschreibt, der hin und wieder die Moderation übernimmt, damit nicht zu sehr durcheinandergeredet wird. Zwischen acht und zwölf Personen sei man, inklusive Nachwuchs, der jüngste sei 25. Kocher: „Mein Appell an ältere Menschen am Stammtisch: Lasst’s andere ausreden und lernt’s Zuhören!“
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