Otti, Der Große!

Er ist eine Opernlegende, eine unglaubliche Bühneninstitution und ein beliebter Volkscharakter: Otto Schenk. Ein Besuch in seiner Wiener Dachgeschoßwohnung.

Seine Pointen kündigen sich leise an: Die Augen blitzen übermütig und nach einer kurzen Pause wird das Gegenüber mitten in den sogenannten medialen präfrontalen Kortex (Vorderhirnlappen) getroffen. In jene Gehirnregion nämlich, die für die Identifizierung von Humor zuständig ist. Ist der Witz versenkt, huscht über Otto Schenks Gesicht ein verschmitztes Grinsen.

 

„Ich habe immer alle zum Lachen gebracht, sie zum Lachen verführt.“

 

Seine Pointen sitzen immer noch. In seinen 90 Jahren hat der Publikumsliebling par excellence schon viele Menschen zum Lachen gebracht – fast 70 Jahre davon verbrachte er auf und hinter den Bühnen dieser Welt. „Ich habe immer alle zum Lachen gebracht, sie zum Lachen verführt: meine Onkel und alten Tanten, meine Schwester und meine Cousins. Ich habe immer irgendetwas dargestellt, etwas nachgemacht und wurde hergezeigt. Das ist mir dann sehr auf die Nerven gegangen. Ich war ein Herzeige-Objekt und daraus hat sich der Komödiant entwickelt, wobei ich immer darauf geachtet habe, das Beobachtete wiederzugeben“, sagt der Volksdarsteller. Er sitzt versunken in seinem Sofa in seiner bis an die Decke mit Büchern und Vasen voll geräumten Dachgeschosswohnung am Wiener Rudolfsplatz. Es ist ein Zuhause mit Seele. „Es kann alt werden. Es ist nichts Unmodernes. Es ist immer alles unmodern gewesen“, sagt der Mann, den nicht nur die Opern- und Theaterkollegenschaft, sondern gleich ganz Wien liebevoll „Otti“ nennt.

Seinen Ruf als „Otto, der Große“ zimmerte er sich über Generationen und Genres hinweg selbst. Als stetes Bühnentier, als Opernverführer, als selbstironischer Vortragshumorist und als charismatischer Erzähler. Die vielen Interviews und Fernsehauftritte, die der am 12. Juni 1930 Geborene im Vorjahr absolvierte, zählen zu den wenigen Corona-Höhepunkten des Frühlings 2020. Wie jener Moment, als er in der Talk-Show „Stöckl“ mit einem Pflaster auf der Wange zu sich auf die Dachterrasse lud und auf die Frage nach der Verletzung mit einer dramatischen Szene voller Details seinen Sturz im Schlafzimmer skizzierte. Vor dem Bildschirm konnte man nur erahnen, wie viel Theaterenergie und Schlagfertigkeit in diesem angeschlagenen Körper nach wie vor stecken. Die Pointe saß. Wie eigentlich immer.

 

links: Otto Schenk als kleiner Knirps; rechts: Geburtstagsgrüße von Unternehmer Hans Roth

 

„Die Kunst, zum Lachen zu bringen, ist Otto Schenk wie kaum einem anderen gegeben. Weil dieses Lachen aber mit dem geheimen Erkennen menschlicher Fehlbarkeit verbunden ist, lieben ihn die Menschen“, hieß es in der Jury-Begründung zur Nestroy-Auszeichnung für sein Lebenswerk im Jahr 2000. Also bereits vor 20 Jahren. Und seit damals ist noch wahnsinnig viel passiert.

Bis zuletzt stand Otto Schenk als alter Kammerdiener Firs in der Tschechow-Inszenierung „Der Kirschgarten“ beeindruckend irrlichternd im Theater an der Josefstadt, das er von 1988 bis 1997 leitete, auf der Bühne. Seine Rollen prägten sich dem Publikum ein:  in „Bockerer“ zunächst in München, später in der Josefstadt, als Zauberkönig in „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (1994) oder als Thomas Bernhards „Theatermacher“ im Jahr 2006 – um nur einige wenige zu nennen. Und natürlich in den vielen unvergesslichen „Nestroy“-Stücken, die ihm so sehr liegen.

 

„Man muss sehr genau aufpassen, wenn man beliebt wird, dass man nicht bei sich selber zu beliebt wird.“

 

Es scheint so, als könne dieser Mann auf der Bühne alles machen. „Das ist ein großer Irrtum. Man muss sehr genau aufpassen, wenn man beliebt wird, dass man nicht bei sich selber zu beliebt wird. Man muss immer zweifeln an dem, was man macht. Vielleicht ist dieses leicht Ungeschickte, das ich nicht kultiviere, das Geheimnis, dass die Menschen mich verstehen. Ich war nie selbstsicher. Ich habe immer an meinem Talent gezweifelt. Ich hatte stets einen Verführer, der mehr an mich geglaubt hat als ich selber. Das ist eine heikle, tragische Lebensweise. Sehr unangenehm.“ Nur an einer Person habe er nie gezweifelt, betont die Bühnenlegende beinahe schon mantraartig seit Jahrzehnten: an seiner Frau Renée Michaelis, mit der er seit 1956 verheiratet ist und mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. 

Seinen Durchbruch als Regisseur feierte er 1960 mit seiner Inszenierung „O Wildnis!“ von Eugene O’Neill an der Josefstadt, zwei Jahre später gelang im selbiges auch auf den Opernbühnen mit seiner Interpretation von „Lulu“ an der Wiener Staatsoper. Sein legendärer „Rosenkavalier“ von 1968 findet sich noch immer im Repertoire der Staatsoper, wenn auch musikalisch aufgefrischt. Rund 50 Bühnen-Inszenierungen und 100 Opern-Inszenierungen von hier bis nach New York gehen auf sein Konto. Ans Aufhören denkt er nicht. Seine Lesungen wurden, wie er gerne betont, nur coronabedingt unterbrochen.

Er lebe, sagt er, „von Stunde zu Stunde.“ Und gewohnt lakonisch berichtet er mit Blick durchs Dachfenster im Giebel: „Ich freue mich natürlich, wenn die Menschen das ernst nehmen, dass ich noch auf der Welt bin, aber ein Erschrecken sind 90 Jahre schon. Man muss zutiefst erschrecken, wenn man so alt wird. Man hätte es sich nie gedacht und es ist vergangen wie ein Tag, das Leben.“

 

„Ich freue mich natürlich, wenn die Menschen das ernst nehmen, dass ich noch auf der Welt bin, aber ein Erschrecken sind 90 Jahre schon.“

 

Zum Ehrentag schenkte er dem Publikum nicht nur Interviews und Fernsehauftritte, sondern auch den hinreißenden Bildband „Schenk. Das Buch“, das der Jubilar gemeinsam mit seinem jahrzehntelangen Freund, dem Publizisten und Fotografen Michael Horowitz, geschenkt hat. „Man braucht vor dem Tod keine Angst zu haben, wer aber will, soll ruhig Angst haben. Ein gewisses Quantum Angst gehört zum Leben und zum Tod.“ Solche Passagen finden sich im hinreißenden Bildband – eine 240-seitige Beweislage in Anekdoten, Glückwünschen und vor allem Fotos. Jede Seite dokumentiert, warum der vielfach ausgezeichnete Kammerschauspieler eine Bühneninstitution ist. Schenk outet sich darin auch als „Menschenfresser“ und schließt mit einem Ausblick: „Würde man mich fragen, ob ich Angst vor dem Tode habe, so würde ich antworten: Fragt mich das später!“ Wetten, kurz vor der Verschriftlichung der Pointe, blitzten die Augen übermütig.

„Schenk. Das Buch. Ein intimes Lebensbild“ von Michael Horowitz und Otto Schenk; Molden Verlag, 240 Seiten, 35 €

 


Biographie:
Otto Schenk wurde am 12. Juni 1930 in Wien geboren. Seit 1956 mit Renée Michaelis verheiratet, 1957 kam der gemeinsame Sohn Konstantin zur Welt. Er lebt in Wien und am Irrsee. 

Karriere:
Max-Reinhardt-Seminar, Theater in der Josefstadt und Volkstheater, 1957 erste Opernregie. Seither Operninszenierungen an vielen großen Häusern. Als Schauspieler und Theaterregisseur auch am Burgtheater, Münchner Kammerspiele. Legendärer Nestroy-Darsteller. Zahlreiche Lesungen und Kabinett-Stücke.

Auszeichnungen:
u. a. Nestroy-Ring, Bayerischer Filmpreis, Platin-Romy, Nestroy fürs Lebenswerk …


 

Bestellen Sie jetzt das neue Magazin mit vielen weiteren Stars wie Erika Pluhar, Harry Prünster und Hera Lind auf shop.abenteueralter.at
Bestellungen auch telefonisch möglich unter: 
+43 316 81 43 01
Mo – Do: 7:30 – 16:00 Uhr
Fr: 7:30 – 13:00 Uhr

Julia Schafferhofer
15.03.2021
Bildquellen: Ernst Kainerstorfer/picturedesk.com (Titelbild); Archiv Otto Schenk/Fotoatelier A.J.Ostermann (links); Ingo Folie/Roth (rechts)