Die Liebe in Zeiten von Corona

Als die meisten Senioren daheimgeblieben sind, haben sich Herr Hans und Frau Irene ineinander verliebt. Ganz zufällig war die Begegnung nicht und es war nicht Amor, der sie eingefädelt hat.

„Einsamkeit hat’s immer gegeben und wird’s immer geben“, sagt Herr Hans. Seit wenigen Monaten ist der 80-Jährige wieder in festen Händen, die Auserwählte heißt Irene und ist 77. Beide heißen in Wirklichkeit anders, der Grund, warum sie nicht mit ihren richtigen Namen genannt werden wollen: Nicht der Zufall führte sie zueinander, sondern ein Partnervermittler. Aber darüber redet man noch immer nicht gern. 

„Wohin soll man gehen, um jemanden kennenzulernen? Ab 60 ist das nicht mehr so einfach.“

Herr Hans ist schon lange Witwer, hatte nach dem Tod seiner Frau eine Beziehung, die in die Brüche gegangen ist. Frau Irenes Lebensgefährte ist gestorben, auch sie wollte nicht alleine bleiben. Über eine Zeitungsannonce sind beide auf Stefan Zisser und sein Partnervermittlungsinstitut gestoßen und haben ihn beauftragt. Warum? Herr Hans stellt eine Gegenfrage: „Wohin soll man gehen, um jemanden kennenzulernen? Ab 60 ist das nicht mehr so einfach, wenn man nicht ein ,Haudegen’ ist, der eine Abfuhr gut wegsteckt.“ Nachdem seine Frau verstorben war, habe es einige einsame Momente gegeben, trotz Einladungen von Freunden. „Als Witwer oder als Witwe ist man plötzlich für das eigene Geschlecht Konkurrenz. Und das lassen einen viele spüren“, erinnert sich Herr Hans. Man sei auf einmal das fünfte Rad am Wagen. Frau Irene hat es mit einem Verein probiert, eine Freundin nahm sie mit. „Fündig“ wurde sie dort nicht, „die Leute sind meist in Gruppen zusammengeschlossen, es war nicht einfach, da hineinzukommen.“  

Erstmals getroffen haben sich die beiden mitten in der Corona-Zeit. Hans habe einen sehr romantischen Platz ausgesucht, erzählt Irene, „und hat da schon viel Fantasie gezeigt, das hat mir gefallen.“ Mit einigem Sicherheitsabstand sei man um einen Teich spaziert und trotz Distanz sei der Funke bald übergesprungen. Herr Hans hat zuvor andere Damen getroffen, Frau Irene auch zwei Männer, gefunkt hat’s aber nicht. Als sie schon nicht mehr daran dachte, kam das Angebot, Herrn Hans treffen zu können.

Es passt, sagen beide über ihre noch junge Beziehung. Sie nehmen bewusst Abstand davor, Vergleiche zu den früheren Partnern zu ziehen, „man muss Menschen nehmen, wie sie sind, ja nicht vergleichen“, sagt Herr Hans. „Jeder Mensch ist eigen, jeder hat ein Plus und ein Minus. Außer wir zwei, wir haben nur Plus“, sagt er zu Frau Irene und zwinkert ihr zu. 40 Jahre war er mit seiner Ehefrau verheiratet, mit ihr hat er zwei Kinder, sie seien nie getrennt auf Urlaub gefahren. Irene lebte 24 Jahre in einer Partnerschaft, auch sie hat zwei Kinder, die längst ihr eigenes Leben leben. Dass jeder seine Immobilien hat, finden beide recht praktisch, einmal sei man da, einmal dort und dazwischen bleibt jeder bei sich zu Hause, „zur Erholung“, sagt Herr Hans und schmunzelt. Eine recht moderne Beziehung also. Frau Irene trifft dann Freundinnen, Herr Hans arbeitet im Garten. „Der Freiraum ist uns beiden wichtig“, sagt Herr Hans, „dazu braucht es aber Aufrichtigkeit.“ 

In Kürze geht es zum ersten Mal gemeinsam auf Urlaub, sie bleiben in Österreich, mit dem Autozug, mit dem Auto und zwischendurch immer wieder mit dem Rad. Spontan sind beide, die Vorfreude auf die gemeinsame Zeit ist groß. Herr Hans war früher viel mit dem Motorrad unterwegs, mittlerweile hat er alles verkauft und ist auf das E-Bike umgestiegen. Die Natur und das Radfahren mögen beide, der gemeinsame Nenner ist somit ausreichend für viel Zeit miteinander. 

„Da draußen sind Millionen von Menschen, denen es gleich geht.“

Über ihre Vergangenheit reden sie durchaus, wenn möglich ohne große Emotion und Wehmut. Sie gehört schließlich zum Leben. Herr Hans erzählt von einer Dame, die durch das Haus gegangen sei und festgelegt habe, welche Fotos aus der Vergangenheit er weggeben müsse, sollte sie einziehen. Den Kontakt hat er dann abgebrochen, das ging ihm zu weit. Denn letztlich gibt die Vergangenheit auch Kraft, inklusive aller Enttäuschungen und Verluste. Herr Hans habe schon lange gebraucht, bis er nach dem Tod seiner Frau wieder „er selbst war“. Aufgerichtet hat er sich beim Gedanken, dass „da draußen Millionen von Menschen sind, denen es gleich geht.“ Bei Frau Irene kam zwei Jahre nach dem Tod des früheren Partners der Einbruch, auch wenn sie stets Freundinnen hatte, die da waren. Doch letztlich ist man in derartigen Situationen immer allein. 

Dafür ist es nun umso schöner, betont Frau Irene. „Ich bin überrascht, ich dachte nicht, dass ich zu solchen Gefühlen noch fähig bin“, sagt sie recht offen und erzählt, wie beide am Teich definiert haben, was das Thema Sexualität für sie bedeutet. Das war gerade medial präsent. Coronabedingt wurde Sexualität als Grundbedürfnis eingestuft, als es um die Frage ging, ob Partner, die nicht im selben Haushalt lebten, einander besuchen dürften.

Dass es auch für sie ein Grundbedürfnis sei, wurde somit schon am Teich besprochen. „Die wenigsten reden drüber“, betont Herr Hans, heute wie früher. Er erzählt, wie dürftig damals die Aufklärung gewesen sei und wie sehr man sich diese über Oswalt-Kolle-Filme wie „Die Frau, das unbekannte Wesen“ geholt hatte. „Wir waren nicht begabt bei allem“, sagt er schmunzelnd. Frau Irene ist der Meinung, man müsse nicht unbedingt darüber reden, aber Tabuthema sollte es keines sein. „Wir blödeln viel“, sagt Herr Hans, da gehe alles viel leichter. Für Frau Irene ist mit reiferem Alter die Gefühlsebene wichtiger geworden, „ich bin heute sensibler.“ Herr Hans dagegen ist geradlinig, sagt, was ihm nicht passt. Die beiden werden auch das hinbekommen.

 

Daniela Müller
Beitrag veröffentlicht am 4. August 2020
Bildquelle: Shutterstock